Nacht in Havanna
und haben mich in ein Lager mit den gefährlichsten Männern der Welt gesteckt, Palästinensern, Iren, Roten Khmer. Dabei hat sich herausgestellt, daß ich bloß ein junges Großmaul aus Athens, Georgia, war, mächtig über Mao tönen konnte und wahrscheinlich ein Rhodes-Stipendium in Oxford gekriegt hätte, wenn ich nicht statt dessen in Kuba gelandet wäre. Diese Typen haben mir wirklich angst gemacht. Echte Scheißangst. Kennen Sie die Sorte?«
»Ich versuche, sie mir vorzustellen.«
»Tun Sie’s nicht. Am Ende haben sie aufgegeben, mich zurück nach Havanna gebracht und mir einen lauen Job als Übersetzer gegeben. Das war natürlich ein Abstieg, aber ich war immer noch voll des revolutionären Eifers und habe dreißig Seiten am Tag übersetzt, bis mich eines Tages einer meiner kubanischen Kollegen beiseite nahm und fragte: Jorge, was ist mit dir los, verdammt noch mal? Wir übersetzen jeder drei Seiten am Tag. Du ruinierst die Quote.< Ich glaube, an dem Tag, an dem ich diese Worte hörte, habe ich Kuba begriffen. Das Licht der Erkenntnis dämmerte. Marx war am Strand angekommen, und der Alte wollte bloß einen kalten Daiquiri und eine Zigarre. Solange die Sowjetunion noch gezahlt hat, war das hier eine einzige große Party, müssen Sie wissen. Das Problem ist nur, daß die Party jetzt vorbei ist.«
»Trotzdem.« Arkadi versuchte immer noch, das Bild des welterschütternden Revolutionärs mit dem des windigen Geschäftemachers zusammenzubringen.
Walls bemerkte seinen Blick. »Ich weiß, ich war einmal eine große Nummer. Aber das waren Eldrige Cleaver und Stokely Carmichael auch. Bruder Cleaver ist zurück in die Staaten gekrochen, um seine Zeit abzusitzen, und Stokely ist als Wanze in Afrika gelandet, wo er in Uniform und mit Gewehr verkleidet in Kissidougou darauf wartet, daß die Revolution an seine Tür klopft. Also, sagen Sie mir, hat Isabel Sie gebeten, sie aus Kuba rauszuholen?«
»Ja.«
»Nun, sie ist besessen von der Idee und besessen von Männern, von denen sie denkt, sie könnten ihr helfen. Und sie hat vollkommen recht. Hier werden sie sie nie zur Primaballerina machen, und rauslassen werden sie sie auch nie. Lieben Sie sie?«
»Ich habe sie gerade erst kennengelernt.«
»Aber ich habe Sie beide zusammen gesehen. Männer verlieben sich sehr schnell in sie, vor allem wenn sie sie tanzen sehen. Manchmal überschlagen sie sich förmlich, um ihr zu helfen.«
»Ich würde ihr helfen, wenn ich könnte.«
»Ah, das heißt, Sie haben keine Ahnung von der Situation.«
»Nicht die geringste«, gab Arkadi zu. »Kennen Sie Sergej Pribluda?«
»Ich kannte ihn. Ich habe gehört, daß man ihn aus der Bucht gefischt hat. Sind Sie auch ein Spion?«
»Ermittler des Staatsanwalts.«
»Aber ein Freund von Sergej?«
»Ja.«
»Lassen Sie uns draußen weiterreden.« Walls führte Arkadi am Empfang vorbei über einen kleinen Hof mit kargen Büschen auf die Straße, wo ein schnittiges, weißes, amerikanisches Cabriolet mit roten Ledersitzen parkte. Die abgerundeten Heckflossen waren mit silbernen Ringen verziert, und auf dem Kofferraumdeckel zeichnete sich die Andeutung eines Ersatzreifens ab. »Ein 57er Chrysler Imperial. Dreihundertfünfundzwanzig PS, V-8-Zylinder, Torque-Flite-3-Gang-Automatik, Torsion-Aire-Aufhängung. Ernest Hemingways Wagen.«
»Sie meinen, ein Wagen wie Hemingways?«
Walls strich zärtlich über die Stoßstange. »Nein, ich meine Hemingways Wagen. Früher hat er Papa Hemingway gehört, jetzt gehört er mir. Ich möchte mit Ihnen über den Brief reden, den Isabel aus Rußland erwartet. Hat sie Ihnen von ihrer Familie erzählt?«
»Ein wenig.«
»Und natürlich auch, daß ihr Vater unschuldig war.«
»Ja.«
Walls senkte die Stimme. »Ich liebe die Kubaner, aber sie halten sich nicht immer an die reine Wahrheit. Hören Sie, dieses Volk hat Rußland ruiniert. Und irgendwann mußte Rußland sagen: >Wir sollten dafür sorgen, daß da endlich Vernunft einkehrt.<« Warum, fragte Arkadi sich. In Rußland hatte auch nie Vernunft geherrscht. Warum ausgerechnet in Kuba? »Wovon reden Sie?« Walls sprach schnell weiter. »Lazaro Lindo war die Nummer zwei der kubanischen Partei und in Moskau postiert, eine durchaus logische Wahl. Es sollte ein stiller Staatsstreich werden, eine glatte Machtübernahme mit Hausarrest für Fidel. Lindo flog in einem schwarzen Flugzeug aus Moskau zurück und hörte schon unterwegs die Nachrichten von Truppenmobilisierung und auffahrenden Panzern. Und stellen Sie
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