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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Hedy?«
    »Ja.«
    »Dann finde ich es sicherer, nicht zu tanzen.«
    »Dann sind Sie schon tot.«
    »Da haben Sie allerdings recht. Ist Abakua eine Version von Santeria?«
    »Sie könnten gar nicht verschiedener sein. Santeria stammt aus Nigeria, Abakua aus dem Kongo.« Das war, als würde man Deutschland und Sizilien verwechseln. »Blas hat gesagt, sie hätten früher geschmuggelt.« Ofelia begann zu lernen, wie Renko sich hinter einer Unschuldsmiene zu verbergen verstand, wenn er vorhatte zuzuschlagen. Sie würde gar nicht erst anfangen, ihm zu erklären, daß es zwei verschiedene Formen der Abakua gab, eine öffentliche mit aufrechten Anhängern, die auch Professoren oder Parteimitglieder sein konnten, und eine geheime, kriminelle Variante. Diese zweite Abakua war selbstredend nur für Männer und pflegte eine Art Diebesmoral. Die Ermordung eines Außenstehenden war erlaubt, während der Verrat eines anderen Abakua eine Todsünde war. Und die Kubaner glaubten, daß der Arm der Abakua überallhin reichte. Ofelia kannte einen Spitzel, der sich auf einen Posten in Finnland hatte versetzen lassen, um aus Havanna zu entkommen. Er starb, als er durch das Eis brach, und die Leute sagten: »Abakua!« Der Polizei war es nie gelungen, die Abakua zu unterwandern. Im Gegenteil, immer mehr Polizisten - schwarze wie weiße - wurden Mitglieder. Aber all das mit einem Russen zu erörtern, war so ziemlich das letzte, was sie wollte.
    »Wir müssen nicht darüber reden«, sagte Arkadi.
    »Es war nur die Art, wie Sie gefragt haben.«
    »Habe ich selbstgefällig geklungen? Das ist nur meine Ignoranz.
    Es tut mir leid.«
     
    »Wir werden nicht über Religion sprechen.«
    »Weiß Gott.«
    Das Kofferradio in dem Hauseingang verbreitete das tiefe Dröhnen einer Trommel, einer großen iyä mit einem in der Mitte dunkelrot gefärbten Fell, wie Ofelia wußte, begleitet von dem bohrenden Rhythmus einer bauchigen Kürbisflasche. Darüber erhob sich schmeichelnd ein einzelnes Horn wie ein Mann, der eine Frau zum Tanz auffordert.
    »Außerdem ist es nicht schlimm, besessen zu sein«, sagte Ofelia. »Nun, ich habe einen phantasielosen russischen Verstand, ich glaube nicht, daß es mir je passieren wird. Wie ist das?«
    »Rein theoretisch?« Sie suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen für Herablassung. »Rein theoretisch.«
    »Sie haben bestimmt als Kind manchmal die Arme ausgebreitet, den Kopf in den Nacken gelegt und im Regen getanzt. Sie fühlen sich durchnäßt, sauber und schwindlig. So ähnlich ist es, besessen zu sein.«
    »Und danach?«
    »Dreht sich einem noch immer der Kopf.«
    In der Arkade stieg eine abwe mit ein, die Triangel des armen Mannes. Es war bloß die Klinge einer Hacke, die mit einem Eisenstab gespielt wurde, doch ihr Klang war wie das Ticken im Kopf, wenn man die kräftigen Hände eines Mannes um die Hüften spürte. Als ein Saxophon seine Linien darum zu weben begann, zitterte die shekere, die Trommel setzte aus und wie ein Herzschlag wieder ein. Das waren die Schlingen, die für die dummen Mädchen gelegt wurden, die sich im Schatten herumdrückten. Aber nicht für Ofelia. Sie stellte sich einen klaren Verstand vor.
    Sie warf einen Blick auf den Arm, an dem sie die Blutergüsse entdeckt hatte. »Sie klingen schon besser. Sie waren in einer ziemlich schlechten Verfassung, als Sie hierhergekommen sind.«
    »Jetzt nicht mehr. Ich bin neugierig wegen Pribluda, Rufo und Luna. Ich habe gewissermaßen einen neuen Lebenssinn gefunden.«
    »Aber warum wollten Sie sich weh tun?«
    Sie stellte sich schon auf eine verächtliche Zurückweisung ein, doch Renko sagte: »Andersherum wird ein Schuh daraus.«
    Die nächste Frage drängte sich Ofelia instinktiv auf, und sie stellte sie, ohne zu überlegen: »Haben Sie einen Menschen verloren? Nicht hier, in Moskau?«
    »Ich verliere dauernd Menschen.« Er zündete sich einen neue Zigarette an der alten an. »Die meisten Boote, die auf Grund laufen, tun das nicht mit Absicht. Es ist keine Stimmung, es ist bloß Erschöpfung. Erschöpfung vom Selbstmitleid. Man ist mit jemandem zusammen«, fügte er hinzu, »und aus irgendeinem Grund fühlt man sich lebendiger, auf einer anderen Ebene. Die Dinge haben Geschmack und Farbe. Man denkt zur selben Zeit das gleiche, und es ist, als würde man doppelt leben. Und wenn man es dann schafft, diesen Menschen auf eine brutal unwiderrufliche Art zu verlieren, geschieht etwas Seltsames. Man läuft herum und hält nach einem Wagen Ausschau, der einen

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