Nacht in Havanna
Herzinfarkt bekommt. Wenn er auf dem Wasser von einem Blitz getroffen worden wäre, wäre das eine andere Sache. Könnte Dr. Blas die Leiche nicht auf Blitzschlag untersuchen?«
»Sonst noch was?« Es sollte sarkastisch klingen.
»Sie könnten herausfinden, mit wem Rufo gesprochen hat, nachdem er mich abgesetzt hat und bevor er zurückgekommen ist, um mich zu töten. Überprüfen Sie seine Telefonunterlagen.«
»Rufo hatte kein Telefon. Außerdem gibt es keine Ermittlung.«
Die kubanische Gitarre war die lieblichste auf der Welt, ihre Töne flirrten wie Licht auf dem Wasser. Sie beobachtete, wie er sich eine neue Zigarette an der alten anzündete.
»Haben Sie je versucht, mit dem Rauchen aufzuhören?«
»Natürlich.« Er blies genüßlich eine Rauchwolke in die Luft. »Aber ich kenne einen Arzt, der sagt, der optimale Zeitpunkt, mit dem Rauchen anzufangen, wäre mit Mitte Vierzig, weil man die Wirkung des Nikotins dann wirklich brauchen könnte, um sich zu konzentrieren und der Senilität Einhalt zu gebieten. Er sagt, es dauert in der Regel etwa zwanzig Jahre, bis sich die Folgen - Krebs, Gefäßprobleme, Emphyseme - bemerkbar machen, und dann ist man ohnehin bereit abzutreten. Aber er ist natürlich ein russischer Arzt.«
Obwohl sie es für eine schlechte Angewohnheit hielt, hörte Ofelia sich sagen: »Manchmal habe ich mir gewünscht, auch zu rauchen. Meine Mutter pafft Zigarren, guckt mexikanische Telenovelas und brüllt die Figuren an: >Glaub ihr nicht, glaub dem Miststück kein Wort!<«
»Wirklich?«
»Meine Mutter ist hellhäutig, sie stammt aus einer Familie von Tabakpflanzern, und obwohl sie einen schwarzen Plantagenarbeiter, meinen Vater, geheiratet hat, hat sie stets ihre kulturelle Überlegenheit gegenüber den einfachen Arbeitern herausgekehrt. In den Zigarrenfabriken werden die großen Geschichten der Weltliteratur während der Arbeit laut vorgelesen. Madame Bovary, Don Quijote. Glauben Sie, in einem Zuckerrohrfeld würde jemand Madame Bovary lesen?«
»Wohl kaum.«
Ofelia öffnete ihre Tasche, legte die Makarow auf die Knie und eine Kette aus weißen und gelben Perlen um ihren Hals. »Sehr hübsch«, sagte Renko.
Dr. Blas hätte sein Mißfallen geäußert. Gelb stand für Ochün, die Göttin des frischen Wassers und der süßen Dinge, die Farbe von Honig und Gold und Ochüns glänzender Mulatta-Haut. Doch in Anwesenheit des Russen trug Ofelia sie ganz entspannt, weil er keine Ahnung hatte.
»Bloß Perlen«, sagte sie. »Stört Sie die Musik?«
Eine Melodie wehte durch die Arkade unter ihnen. Havanna war so übervölkert, daß es ein Problem mit der Privatsphäre gab. Manchmal suchten Liebende die Dunkelheit eines Hauseingangs am Malecon, um zu vollziehen, was sie sonst nirgends tun konnten. Im Lied hieß es: »Eros, blinder Mann, ich zeige dir den Weg. Ich sehne mich nach deinen starken Händen, nach deinem Körper, heiß wie Flammen, der mich entfaltet wie die Blütenblätter einer Rose.«
»Nein«, sagte Arkadi.
»Sie verstehen überhaupt kein Spanisch?«
»Honig und Absinth strömen aus deinen Adern in meine brennende Ritze und machen mich verrückt.« Zusammen mit dem Lied drangen Gemurmel und Geraschel nach oben. Die Paare auf der Mole rückten enger zusammen. »Kein Wort.«
»Wissen Sie«, sagte Ofelia, »es gibt Unterschiede zwischen Rumba, Mambo, Son, Songo und Salsa.«
»Bestimmt.«
»Aber alles basiert auf Trommeln zum Tanzen.«
»Nun, ich bin kein großer Tänzer.«
Nicht jeder mußte ein Tänzer sein, dachte Ofelia. Nicht daß sie ihn attraktiv fand. Ihre Mutter würde wahrscheinlich fragen, ob er den Tag wohl überleben würde. Ofelias erster Mann Humberto war schwarz wie ein Dominostein, ein Baseballspieler und phantastischer Tänzer. Der zweite, ein Musiker, war der Typ, den alle chino nannten, weil er nicht nur eine attraktive Rassenmischung, sondern auch allseits beliebt war. Er spielte Bongos, und dafür mußte man aus sich herausgehen können. Bis er schließlich so weit aus sich herausging, daß er nicht mehr zurückkam. Trotzdem ein noch besserer Tänzer als Humberto. Ihre Mutter verachtete beide und nannte sie schlicht Primero und Segundo, womit hinreichend Raum für weitere Anfügungen blieb. Verglichen mit ihnen sah Arkadi, trotz der Hitze in seinen Mantel gehüllt, aus wie ein Krüppel. »So kommunizieren die Geister miteinander«, erklärte sie. »Sie sind in den Trommeln. Wenn man nicht tanzt, können die Geister nicht herauskommen.«
»So wie bei
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