Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)
ausweichend. Als er fertig war, war es sieben, und er bestellte etwas zu essen. Das Lokal war fast leer, nur an einem runden Tisch saßen ein paar Männer, tranken Bier und unterhielten sich lautstark über Lokalpolitik. Kurz vor neun verließ Hubert das Restaurant. Eigentlich hatte er zu viel getrunken, um noch zu fahren.
Das Hotel war hell erleuchtet. Als Hubert seinen Wagen parkte, hörte er Stimmen und Gelächter aus dem Park und Musik. Im Kulturzentrum brannte kein Licht, die Tür war verschlossen, und das Gebäude wirkte abweisend. Hubert tastete an den Wänden nach dem Lichtschalter. In der Küche fand er eine halbvolle Flasche Grappa. Er nahm sie mit auf sein Zimmer, stellte den Diaprojektor auf und schaute sich die Fotos der Frauen an, die er damals gemacht hatte. Er hatte nicht vor, noch einmal mit den Dias zu arbeiten, vermutlich hatte er sie nur mitgenommen, weil sie zu seinem letzten vernünftigen Projekt gehörten. Er projizierte die Bilder auf eine der Zimmerwände. Seit Jahren hatte er sie nicht mehr angeschaut, in seiner Erinnerung waren sie interessanter gewesen. Er wunderte sich über die Impertinenz, mit der er vorgegangen war, er musste völlig überzeugt gewesen sein von seiner Arbeit. Und noch erstaunlicher war, dass seine Selbstsicherheit und seine Begeisterung so ansteckend gewesen waren, dass er tatsächlich Frauen gefunden hatte, die mitmachten. Auf einer der Fotografien war eine kleine, schwarzhaarige Frau zu sehen, eine Briefträgerin, die er am Ende ihrer Schicht erwischt hatte. Sie klemmte sich eine Flasche Prosecco zwischen die Beine und hantierte am Korken. Auf dem nächsten Foto streckte sie sich, um Gläser aus einem hohen Regal zu nehmen, auf dem dritten goss sie einen Kelch ein und lachte, weil der Schaum über den Rand des Glases lief. Dann kamen zwei unscharfe Bilder, auf denen sie durch den Flur ging, und eins, auf dem sie die Decke ihres Bettes zurückschlug. Es war das einzige Mal gewesen, dass Hubert mit einem seiner Modelle geschlafen hatte. Die Fotos hatte er nie verwendet.
Im nächsten Magazin waren Bilder einer vielleicht sechzigjährigen Frau, die strickte, im dritten die einer jungen Frau, die ihr ebenfalls nacktes Baby stillte. Sie hatte sich in Pose geworfen und ihn nach der Sitzung um Abzüge gebeten, die er ihr nie geschickt hatte. Auch diese Bilder waren unbrauchbar gewesen. Hubert schaute alle Magazine durch, Fotos von etwas mehr als vierzig Frauen. An die meisten konnte er sich noch einigermaßen erinnern, aber bei einigen der letzten Magazine kam es ihm vor, als hätte er die Bilder noch nie gesehen. Eine Serie war bei schwachem Licht aufgenommen, die Bilder hatten eine leichte Unschärfe, und das Gesicht der Frau war nie ganz zu sehen, oft wurde es von ihrem langen Haar verdeckt, meistens hatte sie sich ohnehin von der Kamera abgewandt. Hubert konnte nicht erkennen, was genau sie machte, sie beugte sich über einen Tisch und schien irgendetwas zu ordnen oder zu betrachten. Der Raum, in dem sie sich befand, wirkte anonym, außer dem Tisch waren weder andere Möbel noch persönliche Gegenstände zu sehen. Die Bilder strahlten eine große Ruhe aus, als hätte sich das Modell alleine im Raum befunden.
Als er am nächsten Morgen in der Küche stand und Kaffee kochte, kam Arno herein. Er sagte, er müsse die Plakate drucken lassen, ob Hubert ihm schon Bildmaterial zur Verfügung stellen könne.
Nein, sagte Hubert.
Oder Skizzen? Irgendetwas? Gibt es schon einen Titel?
Hubert schüttelte den Kopf. Arno lächelte gequält.
Wir könnten einfach Carte blanche auf ein weißes Plakat drucken, sagte er, wie findest du das? Oder noch besser: wir drucken es weiß auf schwarz. Verstehst du? Er lachte. Hast du den Artikel schon gelesen?
Er verschwand und kam kurz darauf mit einer dünnen Zeitung zurück und legte sie auf den Tisch. Hubert nahm sie mit in sein Zimmer. Auf der Titelseite war ein kleines Bild von ihm, darunter standen nur sein Name, das Wort Maler und die Nummer der Seite, auf der der Artikel zu finden war. Dort war noch einmal ein Bild von ihm und eine Reproduktion des Plakats der letzten Ausstellung. Der Text war nicht unfreundlich, aber er hatte einen ironischen Unterton. Seine Biographie hatte Tamara inklusive Fehler von Wikipedia abgeschrieben. Sie ging kurz auf die erste Ausstellung im Kulturzentrum ein, die ein kleiner Skandal gewesen sei, und schrieb über Huberts Arbeitsweise. Einige der Zitate mussten aus anderen Interviews stammen.
Für nackte
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