Nacht-Mähre
ist ein Werpferd.«
Langsam beschlich sie eine entsetzliche Erkenntnis. »Das… Tagpferd… etwa?«
»Eben dieses. Sein Geist kann zwei Gestalten annehmen, in denen er gleichermaßen zu Hause ist. Da ist niemand drauf gekommen, weil es schon lange kein solches Wesen in Xanth mehr gegeben hat.«
»Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?« fragte Imbri. »Die ganze Zeit habe ich… ihn…«
»Ich weiß selbst, daß das grausam war«, sagte Chamäleon, »aber ich war mir meiner Sache nicht völlig sicher. Hätte ich mich geirrt, so hätte das bedeutet, daß ich einem guten und unschuldigen Tier bitteres Unrecht angetan hätte. Wäre ich aber im Recht gewesen, so wäre es gefährlich gewesen, es Euch mitzuteilen, weil Eure Reaktion ihn vielleicht mißtrauisch gemacht hätte. Möglicherweise wäre er uns dann nicht mehr in die Falle gelaufen. Deshalb mußte ich Euch in die Irre führen, was ich zutiefst bedaure.«
»Die ganze Zeit… in unserer Mitte… der Reitersmann!«
»Dessen magisches Talent übrigens darin besteht, zwischen zwei Stellen eine Sichtverbindung herzustellen, etwa zwischen einem menschlichen Auge und dem Guckloch eines Hypnokürbisses, wie wir es ja auch schon vermutet haben. Aber wenn Ihr versuchen solltet, ihn zu treten, wird er seine Hengstgestalt annehmen – und er ist nun einmal kräftiger als Ihr.«
»Aber nicht bei Nacht!« protestierte Imbri. Doch ihr Entsetzen wollte nicht nachlassen. Sie hatte geglaubt, daß das Tagpferd ihr Freund sei! Doch nun erinnerte sie sich daran, wie das Tier sich stets in der Nähe des Reitersmanns aufgehalten hatte. Bei ihrer ersten Begegnung war dies auf jeden Fall so gewesen, als der eine so getan hatte, als würde er vor dem anderen fliehen. Was für eine raffinierte Tarnung – und sie hatte sich davon gründlich hinters Licht führen lassen! Das Pferd hatte sie sogar aus der Gefangenschaft des Mannes befreit, wie hätte sie da argwöhnen sollen, daß es sich um ein und dieselbe Person gehandelt hatte? Und als Grundy und Ichabod mit ihr zusammen die Mundanier ausspioniert hatten, war der Reitersmann im Lager erschienen. Und seine unglaubliche Reisegeschwindigkeit – natürlich war es ihm als Hengst gelungen, Strecken binnen weniger Stunden zu überwinden, für die er in menschlicher Gestalt Tage gebraucht hätte, während er als Mensch wiederum Pässe und Abkürzungen hatte nehmen können, die seine Tiergestalt aufgehalten hätten. Er hatte also die größten Vorteile beider Rassen miteinander vereint! Als Tagpferd hatte er sich dumm gestellt und auf diese Weise alle Geheimnisse Xanths in Erfahrung gebracht – die unsichtbare Brücke, die Thronfolge –, und dabei hatten sie ihn für ihren Verbündeten gehalten und ihm alles verraten!
Nun verstand sie auch, weshalb sich der Gute Magier seiner Niederlage so sehr schämte. Das Tagpferd war sogar dabeigewesen, als Humfrey seine Zauber aufgebaut und sie ihr erklärt hatte! Humfrey hätte den Reitersmann – nein, man mußte ihn jetzt wohl den Pferdmenschen nennen! – jederzeit verzaubern können, wenn er nur begriffen hätte, was im nachhinein als so offensichtlich erschien! Statt dessen hatte er sich in dem Augenblick erwischen lassen, als Imbri den Baum verlassen hatte und darauf wartete, daß das Tagpferd ihm nachfolgte. Der Hengst hatte sich in den Mann verwandelt, den Magier unschädlich gemacht und war danach in Pferdegestalt zu Imbri zurückgekehrt.
Alles paßte nun so gut ins Bild, daß ihr davon beinahe übel wurde. Sie hatte sich wirklich mährenhaft dumm verhalten! Erst Chamäleon war es in ihrer häßlichen, klugen Phase gelungen, alle Einzelteile zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen und zu den richtigen Schlüssen zu gelangen. Natürlich war der Pferdmensch ihr ins Schloß gefolgt, denn das hatte ihm ja die Möglichkeit gegeben, die letzten beiden Könige auszuschalten und die Macht an sich zu reißen.
Und jetzt befanden sich die Könige zwar hier im Kürbis in Sicherheit und wirkten einigermaßen zufrieden – doch ihre Körper waren noch auf Schloß Roogna, in der gnadenlosen Gewalt ihres Feindes. Sie hatten die Wahrheit endlich herausgefunden, aber die Krise war noch lange nicht überwunden.
»Viel Glück, König Imbri«, sagte König Trent feierlich. »Das Schicksal Xanths hängt von Euch ab.«
Nun begriff Imbri erst so richtig, mit welch gewaltiger Herausforderung sie es nun eigentlich zu tun hatte: Der zehnte König mußte einfach die Kette sprengen – und der zehnte
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