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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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siegen!
    Imbri wirbelte erneut herum, ihre geringere Körpermasse machte sie beweglicher als den Gegner, und plazierte einen Hinterhuftritt auf seiner Schulter. Sie spürte, wie der Knochen unter der Wucht des Tritts zerbarst. Das Tagpferd geriet ins Stolpern, humpelte, richtete sich auf und kam wieder auf sie zu. Dieser Hengst war wirklich eine kriegerische Natur und völlig furchtlos. Anstatt eine Wendung zu vollführen und sie mit den Hinterhufen anzugreifen, benutzte er seinen Kopf. Das war der typische verächtliche Angang des dominanten männlichen Tiers.
    Diesmal trat Imbri ihn gegen den Kopf.
    Der Schimmel brach zusammen, und Blut begann aus seinen Nüstern hervorzuströmen.
    Imbri musterte ihn. Nun tat ihr leid, was sie getan hatte, auch wenn sie wußte, daß es nötig gewesen war. Er hatte einen fatalen taktischen Fehler begangen, indem er versucht hatte, sie zu disziplinieren, anstatt eine richtige Kampfhaltung einzunehmen, und er hatte den Preis dafür bezahlen müssen. Und doch flößte ihr das Blut, das über sein schönes weißes Fell strömte und den Boden zu bedecken begann, Entsetzen ein.
    Sie wußte, daß es in der Waffenkammer Heilelixier gab. Sie konnte etwas davon holen, dann würde dieses schönste aller Tiere sofort wiederhergestellt sein. Kein Hengst hatte es verdient, auf derart schmachvolle Weise zu enden!
    »Wo bist du, General?« rief der Mundanier und näherte sich dem Thronsaal.
    Imbri sprang auf die Tür zu, wirbelte herum und trat den Mann mit den Hinterhufen beim Eintreten gegen die Brust. Mit einem erstickten Keuchen sackte er zusammen – ohnmächtig oder noch Schlimmeres.
    »Jordan!« sendete sie. »Werdet ihr Gespenster mir helfen? Die Mundanier sollen sehr abergläubisch sein, sie fürchten sich vor dem Übernatürlichen. Wenn ihr euch ihnen zeigt und drohende Gesten macht, könntet ihr sie damit vielleicht verjagen. Ich muß die schlafenden Könige bewachen, während ich versuche, den Zauber des Pferdmenschen rückgängig zu machen.«
    »Wir wollen unser Bestes tun«, sagte Jordan und schwebte schnell und zielbewußt davon. Imbri kehrte zu dem Tagpferd zurück, um den Gegner dazu zu zwingen, sein Geheimnis preiszugeben. Sie haßte dies alles, aber wenn es sein mußte, würde sie versuchen, ihn mit dem Heilelixier zu bestechen und ihn so lange unter Druck zu setzen, bis er ihr verraten hatte, was sie wissen mußte.
    Doch der Hengst hatte sich abermals verwandelt. Nun lag er in Menschengestalt in einer Blutlache – und atmete nicht mehr. Ihr schrecklicher Tritt hatte ihm den Schädel zerschmettert, und sie erkannte auf einen Blick, daß er tot war.
    Es gab keine Möglichkeit mehr, ihn zum Sprechen zu bringen. In ihrer Verzweiflung hatte sie zu fest zugetreten. Sie hatte ihn ermordet.
    Entsetzt starrte sie auf die grausige Szene, und ihr Schmerz angesichts des Tods des Tagpferds verschmolz mit ihrer Trauer angesichts des drohenden, des endgültigen Verlusts der Könige von Xanth. Was sollte sie nun tun? Sie hatte Xanths allerletzte Chance verspielt!
    Grauen und Verzweiflung überkamen sie. Sie und die Gespenster mußten nun die Mundanier abwehren – aber wozu dies alles noch? Die Königsmähre hatte das Verderben gebracht, genau wie man es auch hätte vorhersehen müssen.
    »Die Büchse!« meinte Jordan, der gerade wieder zurückgekehrt war. »Vielleicht ist ja ein Gegenzauber darin?«
    Matt und fahrig stellte Imbri einen Huf auf die Büchse und zermalmte sie. Ein dünner, durchsichtiger Rauch von rosa Farbe trat hervor und verdichtete sich zu einer recht hübschen kleinen Wolke. Die Wolke umhüllte sie, weil sie keinen Versuch unternahm, ihr auszuweichen. Sie fügte sich vielmehr ihrem Schicksal – im Guten wie im Bösen.
    Es war alles andere als böse: Plötzlich fühlte Imbri sich gestärkt und voller Zuversicht. Irgendwie war sie davon überzeugt, daß alles doch noch zu einem guten Ende finden würde.
    »Hoffnung!« flüsterte Jordan ihr ins Ohr. »In diese Büchse hatte man die Hoffnung gesperrt! Ich fühle es selbst: Nun habe ich das sichere Gefühl, daß mein morbider Zustand sich endlich irgendwann einmal bessern wird.«
    Hoffnung. Sie hatte nicht gewußt, daß die in der Büchse der Pandora begraben worden war. Sie begriff zwar, daß sich objektiv nichts geändert hatte, und doch blieb da diese Zuversicht. Es mußte einfach irgendeinen Ausweg geben!
    Imbris Blick fiel auf den Messingreif des Pferdmenschen. Warum hatte er ihn nie abgenommen, obwohl er doch ein solch

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