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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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das Gespenst ihr ins Ohr. »Kein Mann ist so etwas wert! Ich weiß es, denn ich bin selbst so ein wertloser Mann gewesen, der ein gutes armes Mädchen geschändet hat und nun seit Jahrhunderten unter fruchtloser Reue leidet. Laß nicht zu, daß dir das gleiche widerfährt! Ganz Xanth hängt jetzt allein von dir ab!«
    Noch immer stand sie da, wie angewurzelt, und witterte den Geruch des Hengstes. Sie wußte, daß sie sich völlig närrisch verhielt, wie es weibliche Wesen in der Gegenwart viriler männlicher Partner stets getan hatten. Sie wußte auch, welche Konsequenzen ihr Nichthandeln haben würde. Und doch war sie unfähig zu handeln. Der Paarungstrieb war einfach überwältigend.
    Das Tagpferd nibbelte an ihrem Hals. Imbri stand still. Es tat weh, aber es war ein exquisiter, pferdischer Schmerz, ein Schmerz, wie ihn eine Mähre von einem Hengst nicht nur duldete, sondern sogar willkommen hieß. Er war dominant, wie er es als guter Hengst auch zu sein hatte.
    Er schritt um sie herum, nahm sich Zeit dabei. Auch dies war Teil des Rituals. Er schnüffelte mal hier, mal dort, und schnaubte voller gespielter Gleichgültigkeit. O ja, er hatte sie wirklich in seiner Gewalt! Das Gespenst hatte es aufgegeben; es wußte, daß Imbri verloren war. Ihre glasig werdenden Augen blieben auf die Büchse gerichtet, die am Boden stand, das Wort PANDORA auf dem Deckel. Sie würde nur drei Schritte benötigen, um sie zu erreichen und mit einem Vorderhuf aufzustampfen, um ihren Inhalt freizulassen, wie immer er auch beschaffen sein mochte. Doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, es zu tun.
    Da hörte sie ein lautes Bersten und Krachen an der fernen Außenmauer. Die Mundanier hatten endlich ihre Bresche geschlagen. Imbri zitterte am ganzen Leib, versuchte, sich aus ihrer Lähmung zu reißen, doch der Hengst schnaubte nur und brachte sie zur Ruhe. Sie konnte sich einfach nicht gegen ihn stellen, auch wenn ihr ganzer Verstand wegen dieser Narretei in Aufruhr geriet. Sie hatte auf fatale Weise die Zwänge ihrer eigenen Mährennatur unterschätzt.
    »He, General – wo bist du?« rief einer der Mundanier.
    Das Tagpferd nahm kurz wieder menschliche Gestalt an. »Hier im Thronsaal!« rief der Pferdmensch.
    Da war der Zauber gebrochen. Imbri sprang herum, wie eine vorschnellende Feder. Doch als sie ihn vor sich stehen sah und zum Schlag ausholen wollte, nahm er wieder Hengstgestalt an. Er krümmte den Hals, musterte sie beruhigend, ein Ausbund an Schönheit und Kraft. Er tappte mit dem linken Vorderhuf auf den Boden.
    Imbri, die gerade wieder in eine neue Lähmung zu verfallen drohte, allen guten und besten Vorsätzen zum Trotz, erblickte den Messingreif auf diesem Bein. Der Messingreif, der ohne jede Mehrdeutigkeit verkündete, was und wer er genau war.
    Sie trat ihm mit einem Vorderhuf gegen das Bein, den Reif attackierend. Der Tritt war nicht besonders stark, ja verletzte ihn nicht einmal; entscheidend war daran vielmehr, daß sie sich gegen ihn stellte. Seine Gestaltwandlung und seine unmittelbare Bestätigung seines Bundes mit dem mundanischen Gegner hatten die pferdische Stimmung zerstört. Er war kein Pferd in der Verkleidung eines Menschen, sondern ein Mensch in der Verkleidung eines Pferds. Nun wußte sie, subjektiv genauso wie objektiv, daß er nicht ihr Freund war. Alles, was sie tun mußte, war, diesen Reif anzuschauen, um sich daran zu erinnern, wer er in Wirklichkeit war.
    Der Hengst stieß einen schrillen Schrei aus, mehr aus Wut als vor Schmerz. Wieder stampfte er mit dem Vorderhuf auf. Er war ebenso schön in seinem Zorn wie in seiner Männlichkeit.
    Imbri weigerte sich, sich ein zweites Mal überwältigen zu lassen. Der Anblick des Messingreifs blieb ihr im Gedächtnis haften. Sie schwang den Kopf herum und biß ihn direkt hinter dem pelzigen weißen Ohr in den Hals. Dabei riß sie ihm ein Stück seiner herrlichen Silbermähne aus. Rotes Blut schäumte hervor und befleckte das schimmernde Fell.
    Nun begann das Tagpferd zu kämpfen. Der Schimmel wieherte und bäumte sich vorne auf, um mit den Vorderhufen nach ihr zu treten – doch Imbri hatte sich ebenfalls aufgebäumt. Sie war nicht so groß und kräftig wie er, befand sich also im Nachteil, doch es war die nackte Wut, die sie antrieb und das Bewußtsein, daß sie nicht nur um ihren Stolz, ihre Freiheit und ihr Leben kämpfte, sondern auch um das Wohlergehen der neun anderen Könige und des Landes Xanth selbst. Sie war die Königsmähre, sie mußte einfach

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