Nacht-Mähre
der Nöck wütend. »Nix, nox, paddywox, es lebt der Frosch allein.«
Dieser schaurige Unsinn ließ das Wasser wieder tauen, bis es sich immer mehr verdünnte. Schließlich war es zu leicht geworden, um Imbris Gewicht zu halten – und die Mähre sank kopfüber in die Tiefe.
Das war wie das Durchdringen von festen Gegenständen, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied – sie konnte nicht atmen. Das Wasser war nun zu dünn zum Schwimmen und zu dick zum Atmen, und seine Zusammensetzung war ebenfalls falsch.
Imbris Hufe berührten den Boden. Der war fest. Hastig machte sie kehrt und schritt ein Stück zurück, bis sie den Kopf wieder aus dem Wasser stecken konnte. Jetzt konnte sie wenigstens auch wieder atmen.
Sie schickte Chamäleon ein Träumchen: eine Zentaurenstute, die das Wasser von ihren Flanken abschüttelte. »Alles in Ordnung, Frau?«
»Mein Kleid ist ziemlich durchnäßt – glaube ich«, klagte Chamäleon. »Das Wasser ist nicht sehr feucht.«
Das genügte Imbri. »Atme tief durch, dann laufe ich am Boden des Grabens auf die andere Seite. Mit dünnem Wasser schaffen wir es schon.«
»Das glaubst auch nur du, Klepper!« rief der Nöck, der offensichtlich einen Teil des Traumes aufgefangen hatte. Er kam herbeigeschwommen, der Oberkörper ein Fisch, die Beine die eines Mannes. Das Wasser wurde plötzlich wieder vollflüssig. »Versuch doch mal, da hindurch zu rennen!«
Imbri erkannte, daß der Versuch gefährlich sein konnte. Wenn sie schwamm und der Nöck das Wasser verdampfen ließ, würde sie ohne jede Atemluft versinken und mußte umkehren. Möglicherweise geriet Chamäleon dann in Panik und würde sogar ertrinken. Imbri wußte nicht, ob Chamäleon schwimmen konnte, und es war jetzt nicht die Zeit, sie danach zu fragen.
Da hatte sie eine Idee. Sie projizierte Chamäleon einen Traum, der sie selbst als Mähre und die Frau in Frauengestalt zeigte, genau wie im täglichen Leben. Doch der Nöck war ebenfalls dabei und lauschte. Er würde alles, was sie versuchte, zunichte machen.
Die Traummähre projizierte Chamäleon einen Traum innerhalb eines Traums. Der schlich an dem spionierenden Nöck vorbei, weil der sich nicht über die komplizierte Symbolik von Trauminhalten im klaren war. In diesem verfeinerten Traum war Imbri eine Frau in Schwarz und Chamäleon eine Frau in Weiß.
»Vertraue mir«, sagte sie zu dem Traum-im-Traum-Mädchen, das etwas erschrocken dreinblickte. »Wir werden den Graben überqueren – aber nicht so, wie wir es scheinbar versuchen werden. Tu das, was ich sage, nicht das, was ich scheinbar tue. Verstehst du?«
»Ich will’s versuchen, Imbri«, sagte das Traum-im-Traum-Mädchen und lächelte, als es begriffen hatte.
Nun konzentrierte sie sich wieder auf den äußeren Traum. »Festhalten, Chamäleon«, rief die Mähre. Im wirklichen Leben konnte Imbri zwar keine Menschensprache sprechen, aber im Traum galten andere Gesetze. »Ich schwimme jetzt auf die andere Seite.«
»Auf die andere Seite schwimmen«, stimmte die Frau ihr zu und hob erneut ihr Kleid. Ihre Gliedmaßen waren im Traum genauso wohlgeformt wie in der Wirklichkeit.
»Du machst dir noch deinen Hm-hm naß!« rief der Nöck hämisch.
Chamäleon errötete wieder, behielt aber ihre Fassung. Die Traummähre stieß ins tiefe Wasser vor und begann zu schwimmen. Die echte Mähre tat dasselbe.
»Nix da, nix dal« rief der Nöck und ließ das Wasser zu Dampf werden.
Die wirkliche Mähre und die Frau sanken in die Tiefe – doch das Traumpaar schwamm einfach weiter. »Ist nicht allzu tief hier!« rief die Traummähre. »Wir können am Boden entlanglaufen und immer noch Luft holen. Wir sind gleich drüben!«
»He!« rief der Nöck wütend. »Nix da, nix da, ich vernixe euch!« und er ließ das Wasser gefrieren.
Nun konnte die echte Mähre durch das sämige Eiswasser nach oben vorstoßen und ihren eigenen Kopf und die Frau ins Freie bringen, so daß sie Luft holen konnten. Mühsam bahnte sie sich ihren Weg nach vorn.
Doch die Traummähre stak reglos im Eis. »Wir sitzen fest!« rief diese Mähre. »Wir sind festgefroren!«
»Geschieht dir recht, du Nachtklepper!« jubelte der Nöck. »Ohne Paßwort dürft ihr nicht passieren.«
»Wir müssen umkehren!« sagte die Traummähre verzweifelt.
»Ja, umkehren«, wiederholte Chamäleon, obwohl sie nicht ganz davon überzeugt zu sein schien.
»Du machst das prima«, sagte die Traum-im-Traum-Imbri-Frauengestalt auf einer anderen Ebene.
Inzwischen hatte die echte
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