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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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würde.
    Am nächsten Morgen erschien ein winziger Golem in der Hütte.
    »Ach, hallo Grundy«, sagte Chamäleon. »Willst du einen Keks?«
    »Ja«, erwiderte das Männchen und nahm die angebotene Delikatesse entgegen. Für Grundy war es ein ganzer Armvoll, doch er biß tapfer hinein. »Aber deshalb bin ich nicht gekommen. König Trent sagt, daß du auf der Mähre zum Schloß des Guten Magiers Humfrey reiten sollst, um seinen Rat hinsichtlich des Feldzugs einzuholen.«
    »Aber ich kann doch den Guten Magier nicht belästigen!« protestierte Chamäleon. »Der ist doch so alt, daß man seine Jahre schon gar nicht mehr zählen kann.«
    »Der König meint, es sei sehr wichtig. Uns droht durch die Nächstwelle eine Krise, und wir wollen keinen Fehler machen. In einer Stunde bist du bereits auf dem Weg.«
    Imbri schnaubte. Was war denn das für ein kleiner Widerling, der sie so herumkommandierte?
    Der Golem schnaubte zurück – in perfektem Pferdisch. »Ich bin Grundy der Golem und befinde mich im Auftrag des Königs hier, Pferdegesicht.«
    »Du kannst also auch nichtmenschliche Sprachen sprechen«, wieherte Imbri. Das war aber ein recht ordentliches Talent! Dem brauchte sie nicht einmal kleine Träume zu senden, wenn sie sich mit ihm verständigen wollte. Trotzdem gefiel ihr seine beleidigende Betonung des an sich ja unbeleidigenden Worts ›Pferdegesicht‹ nicht, deshalb schickte sie ihm einen kurzen Traum von den Feuern der Hölle.
    Der Golem erbleichte. »Dein Talent ist aber auch nicht von schlechten Eltern, Mähre«, sagte er und machte sich hastig aus dem Staub.
    Chamäleon blickte Imbri an. »Aber ich weiß doch noch nicht einmal, wie man ein Pferd reitet«, sagte sie.
    »Hol dir ein Kissen als Polsterung, dann bringe ich es dir schon bei«, projizierte Imbri und zeigte ein Traumbild von Chamäleon, wie sie selbstsicher und fast ein bißchen königlich auf dem Rücken des Traumpferdes thronte, von ihrem wunderschönen Haar umringt.
    Chamäleon holte ein Kopfkissen und befolgte Imbris Anweisungen. Schon bald hing sie in waghalsiger Stellung mit unbeholfen herabbaumelnden Beinen und steif verspannten Armen auf dem Rücken der Mähre. Welch ein Unterschied zum bösartigen Könnertum des Reitersmannes! Doch Imbri bewegte sich vorsichtig, und nach und nach entspannte sich die Frau etwas. Es war wirklich nicht so schwierig, ein Pferd zu reiten, wenn das Pferd willig war.
     
    Spät am Nachmittag – Imbri war sehr langsam gegangen, um Chamäleon zu schonen – gelangten sie zum Schloß des Guten Magiers. Staunend erblickten sie den monströsen Steinkreis, der von einem Graben umgeben war.
    Jeder der Steine war viel zu schwer, als daß man ihn jemals mit körperlicher Kraft hätte bewegen und aufstellen können. Oben befanden sich große Steinplatten, die dem Ganzen etwas von einem Pavillon verliehen. Vom Guten Magier war nicht die Spur zu sehen.
    »Ich bin ja nicht sehr schlau«, meinte Chamäleon, »aber das hier verstehe ich überhaupt nicht. Dieser Megalith da sieht aus, als wäre er Jahrhunderte alt!«
    Imbri war zwar einigermaßen klug, aber sie war genauso verblüfft. Sie war in der Vergangenheit an diesem Schloß schon öfters vorbeigekommen, und es hatte jedesmal anders ausgesehen, aber noch nie soviel anders! »Wir müssen hineingehen und nachsehen«, meinte sie. »Vielleicht finden wir irgendwelche Anzeichen für den Verbleib des Guten Magiers.«
    »Vielleicht ist er ja umgezogen«, meinte Chamäleon.
    Sie näherten sich dem Graben. Bei Nacht hätte Imbri ihn mühelos überspringen oder auch über die Wasseroberfläche traben können, doch nun mußte sie waten und schwimmen, weil sie nicht bis zur Nacht warten wollte. Die Sache duldete keinen Aufschub.
    Kaum hatte ihr Huf das Wasser berührt, als auch schon ein Fisch herbeigeschwommen kam. Plötzlich verwandelte er sich in einen nackten Mann. »Halt! Hier dürft ihr nicht vorbei!«
    »O weh«, stöhnte Chamäleon.
    Imbri erkannte die Sorte. »Du bist ein Nöck«, projizierte sie.
    Der Mann verwandelte sich erneut und nahm den Schwanz eines Fisches an. »Na so was, Mähre!« sagte er. »Wer sollte denn sonst einen Schloßgraben bewachen?«
    »Auf Schloß Roogna gibt es nette Grabenungeheuer«, bemerkte Chamäleon.
    »Ich bin auch ein Grabenungeheuer!« erklärte der Nöck. »Und ihr dürft hier nicht vorbei, wenn ihr das Paßwort nicht kennt.«
    »Das Paßwort?« Chamäleon war ganz offensichtlich völlig perplex. Imbri erging es nicht anders. Warum sollten

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