Nacht-Mähre
harmlose Sachen!«
Das war bestimmt eine Übertreibung, aber Imbri konnte sie ihr nachempfinden. Sie beschleunigte etwas, um mehr Vorsprung zu gewinnen. Wie konnte sie die Zentikora ausschalten? Sie wußte, daß sie nicht gegen sie würde kämpfen können, denn es war ein magisches Ungeheuer, das so ziemlich alles vernichten konnte, was nicht gerade ein Drache war. Und mit Chamäleon auf dem Rücken war das vollends unmöglich; die Frau würde mit Sicherheit hinabstürzen und dem Monster zum Opfer fallen.
»Lauf durch die Mauer!« rief Chamäleon ahnungsvoll.
»Das kann ich bei Tag nicht«, wandte Imbri ein. »Nur in der Nacht – und die ist mindestens noch eine Stunde entfernt.« Mit der sie verfolgenden Zentikora hinter ihnen kam es ihr vor wie eine Ewigkeit.
Doch vielleicht war das ja sogar die Lösung: Was, wenn sie es plötzlich dunkel werden ließen? Dann würde Imbri sich auflösen können. Denn es war ja nicht die Nacht selbst, sondern nur die Dunkelheit, die ihr ihre vollen Nachtmähreneigenschaften wiederverlieh; sonst hätte das Feuer des Reitersmanns sie auch nicht an der Flucht hindern können. Die Mächte der Nacht waren immer dort anwesend, wo es Nacht gab, ob es nun natürliche oder künstliche Nacht sein mochte, wo und wann immer sie stattfinden mochte, denn die Nacht war nichts anderes als ein großer Schatten. So wie der Tag nur ein ausgedehnter Fleck Helligkeit war.
Wie konnte sie Finsternis erzeugen? Hm, vielleicht mit Rauch? Ein schlimmes, rauchendes Feuer würde das Tageslicht eine Weile abhalten. Wenn sie ein Feuer entfachen könnten…
»Chamäleon«, sandte Imbri der Frau in einem kleinen Traum, »kannst du hinter einem Stein Feuer machen, wenn ich dich absetze?«
»Ein Feuer?« Die Frau hatte Schwierigkeiten, den Zusammenhang zu erkennen, was ja auch kein Wunder war.
»Um die Zentikora aufzuhalten.«
»Ach so.« Chamäleon überlegte. »Ich habe ein paar magische Streichhölzer dabei, die ich sonst fürs Kochen verwende. Die brauche ich nur an etwas Rauhem zu reiben, dann entzünden sie sich von allein.«
»Ausgezeichnet. Mach ein großes Feuer…« Imbri projizierte eine Bilderreihe: Chamäleon, die sich hinter einer Steinsäule versteckte, hinausrannte, während das Ungeheuer gerade nicht anwesend war, Holz, trockenes Moos und alles mögliche Brennbare einsammelte – »… ein großes, qualmendes Feuer. Laß es zwischen dir und der Zentikora lodern.« Das Ungeheuer konnte zwar genausogut um das Feuer herumlaufen, aber darum ging es ja gar nicht. Es diente lediglich der Raucherzeugung.
»Das kann ich«, meinte Chamäleon. Imbri legte Tempo zu und hängte die keuchende Zentikora ab. Dann steuerte sie eine der Megalithsäulen an und bremste so kräftig wie es nur ging, ohne Chamäleon abzuwerfen. Warum hatte sie das nur nicht mit dem Reitersmann versucht? Weil sie, ganz die dumme Stute, einfach nicht daran gedacht hatte! Aber es hätte wahrscheinlich sowieso nicht funktioniert; der Mann verstand zu viel von Pferden, um sich von einem täuschen oder ausmanövrieren zu lassen. Daher ja auch sein Name – ein Mann, der das Pferd gemeistert hatte.
Chamäleon stieg ab und huschte hinter die Säule, während Imbri zur Ablenkung des Ungeheuers weitergaloppierte. Die List klappte: Schnaubend jagte die Zentikora hinter ihr her, ohne die Frau auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Wahrscheinlich bevorzugte sie ohnehin den Geschmack von Pferdefleisch. Imbri war erleichtert, denn wenn sich das Monster sofort auf die Frau gestürzt hätte, wäre das eine Katastrophe gewesen.
Die Mähre lieferte dem Ungeheuer eine muntere Jagd und blieb immer kurz genug vor ihm, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. In der Zwischenzeit sprang Chamäleon umher und sammelte fleißig Feuerholz, Laub und Gras ein.
Bald darauf war das Feuer entfacht, und eine Rauchsäule stieg gen Himmel.
»Holla!« rief die Zentikora und blieb stehen. »Was ist das denn?«
Imbri blieb ebenfalls stehen, um zu verhindern, daß das Monster die Frau hinter der Rauchsäule beachtete. »Das ist ein Feuer, Hornnase«, projizierte sie. »Um dich zu schmoren.«
»Das wird mich niemals schmoren!« schnaubte die Zentikora, und ihre Geweihenden bebten zornig. »Ich werde es löschen.«
»Du kannst es ja nicht einmal anfassen.« Imbris Träumchen zeigte die Zentikora, wie sie aufschrie, als ein brennender Scheit ihr das Hinterteil versengte.
»Meinst du«, knurrte die Zentikora und begutachtete vorsichtshalber ihr
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