Nacht-Mähre
Magier?«
»Nein, Majestät. Ich glaube, er ist Mundanier. Aber er ist auch schlau und skrupellos. Er hat mir weh getan.« Sie wies mit einem Nicken auf die Schrammen an ihren Flanken.
»Und du konntest ihm nicht entfliehen, indem du dich entmaterialisiert hast?«
»Tagsüber nicht. Bei Tag bin ich jetzt sterblich.«
»Hängt das alles vielleicht mit der Invasion zusammen, die die Mundanier angeblich gerade vorbereiten?«
»Ich nehme es an, Majestät. Der Reitersmann hat zwei mundanische Knechte dabei und ein mundanisches Pferd.«
»Wo hast du diesen grausamen Mann getroffen?«
»Zwei Trabstunden westlich von hier.«
»Südlich der Spalte?«
»Jawohl, Euer Majestät. Am Faux-Paß.«
»Merkwürdig. Meine Späher hätten doch jede Überquerung der Spalte und jede Annäherung vom Meer aus bemerken müssen. Bist du dir des Orts ganz sicher?«
»Völlig sicher, Majestät. Ich habe dort einen schlimmen Fehltritt begangen.«
»Das kommt am Faux-Paß schon mal vor.«
»Ja.« Imbri war wieder verlegen.
»Dann müssen sie einen anderen Weg gefunden haben, unbemerkt in Xanth einzudringen.« Der König dachte einen Augenblick nach. »Ah – ich hab’s! Vor einem Vierteljahrhundert sind Bink, Chamäleon und ich unterhalb der Spalte nach Xanth gelangt, nachdem wir vom Isthmus im Nordwesten losgereist waren. Irgendwie haben wir binnen einer Stunde einen ganzen Tagesgalopp an Entfernung überwunden. Anscheinend gibt es dort einen magischen Unterwassergang. Der Reiter muß ihn entdeckt haben und ist dann irgendwie an dem Kraken vorbeigekommen, der ihn bewacht. Wir müssen diesen Gang sperren, so schwierig das auch sein wird. Dort in der Nähe leben Meerleute. Ich werde ihnen auftragen, der Sache nachzugehen.« Er lächelte. »In der Zwischenzeit stellen ein einziger Mann mit zwei Knechten und einem mundanischen Pferd wohl keine allzu große Gefahr für Xanth dar.«
»Das Pferd ist nicht mehr bei ihnen, Euer Majestät. Es ist ein Hengst, das Tagpferd, das seinem Herrn ausgerissen ist und mir zur Flucht verholfen hat.«
»Dann müssen wir den Hengst belohnen. Wo befindet es sich gerade?«
»Er will nicht mehr mit Menschen zusammenkommen müssen«, erklärte sie. »Er hat Angst davor, erneut eingefangen und geritten zu werden.«
Wiederum lächelte der König. »Dann werden wir ihn nicht mehr beachten. Echte Pferde sind sehr selten in Xanth, denn es gibt hier keine ansässigen Herden. Wir werden ihn als geschützte Art betrachten. Das wird ihm helfen, in einer ansonsten feindseligen Umgebung zu überleben.«
König Trent hatte wirklich eine wunderbare Art, Probleme zu lösen! Imbri war ihm sehr dankbar. »Ich soll außerdem als Verbindungsmähre zum Kürbis dienen – zwischen den Mächten der Nacht und dem Volk von Xanth. Und als Reittier für Chamäleon. Allerdings weiß ich nicht so recht, weshalb. Besonders klug scheint sie mir nicht gerade zu sein.«
»Eine ausgezeichnete Wahl!« sagte König Trent. »Offenbar weißt du nichts über Chamäleons Wesen. Sie verwandelt sich von Tag zu Tag, wird mal schön und dumm, wie jetzt im Augenblick, um dann wieder häßlich aber intelligent zu werden. Wegen der drohenden Krise ist sie im Augenblick allein, was ungut ist, denn gerade jetzt, da ihre Intelligenz mal wieder auf einem Tiefpunkt angelangt ist, sollte jemand bei ihr sein. Du kannst ihr Gesellschaft leisten und sie vor Gefahr bewahren. In ein paar Tagen wird sie wieder schlauer sein, und in zwei Wochen wird sie so klug und häßlich sein, daß du sie kaum wirst ertragen können. Aber alles in allem ist sie eine gute Frau, die in beiden Phasen eine Begleitung gebrauchen kann.«
»Ach so.«
»Kehre jetzt zu ihr zurück«, sagte König Trent. »Gegen Morgen werde ich dann einen neuen Auftrag für dich haben.«
Wie gründlich der König die Dinge doch in die Hand nahm, sobald er sich um eine Sache zu kümmern begann! Imbri trabte durch die Mauer und sprang hinaus. Tatsächlich landete sie im Schloßgraben, doch das machte nichts, weil sie ja im Augenblick unstofflich war; sie scheuchte nicht einmal die Grabenungeheuer auf. Bald darauf war sie wieder bei Chamäleon, die sie nun schon viel besser verstand. Aussehen und Intelligenz, die sich in einem Monatszyklus veränderten – wie weiblich!
Imbri schickte ihr ein beruhigendes Träumchen, dann trat sie hinaus, um sich an dem ausgezeichneten Gras gutzutun. Sie schlief während des Grasens, da sie damit rechnete, daß sie am nächsten Tag ihre ganze Energie benötigen
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