Nacht-Mähre
gefolgt war, rammte mit dem Kopf zuerst gegen die Säule. Mehrere seiner Geweihenden bohrten sich in das Gestein und hielten es nun gefangen. Die Zentikora brüllte und tobte, doch der Stein war fester, als das Eis es gewesen war, und sie konnte sich nicht mehr befreien. So, diese Bedrohung war erledigt!
Erleichtert bewegten sie sich im Inneren der Steinkonstruktion weiter, jedoch nicht ohne die gebotene Vorsicht.
Da hörten sie ein Rumpeln, als wanke eine der Säulen in ihrem Gefüge, um gleich zu zerbröckeln. Sand rieselte plötzlich von einer der Steinplatten herab. Mähre und Frau spähten nervös nach oben. Was war hier los?
Als sie stehenblieben, hörten auch die Geräusche auf. Anscheinend war es nur ein Zufall gewesen, vielleicht das Resultat der Hitze oder des Qualms des Feuers.
Imbri wagte sich einen weiteren Schritt vor. Ein gedehntes, jammerndes Stöhnen zur Rechten ließ sie herumfahren. Doch es war wieder nur eine der massiven Steinsäulen, die sich setzte.
Abermals trat Imbri vor. Da verlor die riesige Felsplatte über ihnen ihren Halt und stürzte in die Tiefe – auf sie zu!
Imbri machte einen Satz zurück und fing Chamäleon im letzten Augenblick auf, als die Frau gerade dabei war, herunterzufallen. Donnernd prallte die Steinplatte auf die Stelle, an der sich die beiden noch einen Augenblick zuvor befunden hatten.
»Das bricht hier alles zusammen!« rief Chamäleon. »Verschwinden wir von hier!«
Doch Imbris Gedächtnis wollte da nicht mitmachen. »Ist es nicht merkwürdig, daß es ausgerechnet in dem Augenblick zusammenbricht, da wir hier eintreten, obwohl alles hier, dem Moosbewuchs und den Spinnenweben zufolge, ganze Jahrhunderte überlebt hat?« Tatsächlich bildeten sich Spinnenweben zwar viel schneller, aber Imbri wollte sich jetzt nicht mit derart unwichtigen Kleinigkeiten abgeben.
»Das sieht mir gefährlich nach einem Felsgeist aus«, fuhr sie im Traum fort.
»Nach einem Felsgeist?«
»Das sind Gespenster, die alte Schlösser und Megalithbauten heimsuchen. Sie sind von Natur aus destruktiv; deshalb stürzen alte Gebäude auch immer irgendwann ein. Die Felsgeister schieben und zerren an den Säulen und Trägern herum, bis schließlich alles zusammenbricht.«
»Aber warum ausgerechnet jetzt?« fragte Chamäleon.
»Damit wir nicht weiter gehen. Erinnerst du dich nicht, was es mit dem Schloß des Magiers Humfrey auf sich hat?«
»O doch! Ich mußte ihm mal eine Frage stellen, das war noch bevor ich mit Bink verheiratet war, und es war schrecklich, allein schon der Versuch, hineinzugelangen! Aber nicht so schlimm wie jetzt!«
»Sein Schloß ist jedesmal anders, wenn er Besuch bekommt. Ich habe es unterwegs beim Traumausteilen gesehen. Es sieht kein zweites Mal gleich aus.«
»Ja, ich weiß«, meinte Chamäleon. »Er muß ziemlich viel Zeit darauf verwenden, es ständig zu ändern.«
»Ja, und das hier ist sein Schloß, wie es jetzt ist. Ein Megalithbauwerk. Wir haben zwei Gefahren gemeistert, und dies ist nun die dritte – die Felsgeister. Die halten uns auf, indem sie uns Steine in den Weg werfen.«
»Oh.« Doch Chamäleon schien noch nicht gänzlich überzeugt. »Aber wir wollen doch gar keine Frage stellen. Wir sind doch im Auftrag des Königs hier!«
»Ja, ich weiß, der Gute Magier darf für amtliche Angelegenheiten eigentlich keinen Lohn verlangen. Wahrscheinlich wußte er nicht, daß wir kommen.«
»Aber er weiß doch angeblich alles!«
»Richtig, doch inzwischen ist er alt und zerstreut und lebt in eingefahrenen Gleisen«, meinte Imbris Traumbild. Dennoch war es kein Vergnügen, diesen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen zu müssen. »Also müssen wir irgendeine Möglichkeit finden, wie wir an den Geistern vorbeikommen«, fuhr sie fort. »Dann können wir den Magier trotz seiner Vergeßlichkeit um seinen Rat bitten.«
»Die Gespenster auf Schloß Roogna sind aber alle sehr nett und freundlich«, meinte Chamäleon, der die Felsgeister anscheinend nicht sonderlich zusagten.
»Zweifellos. Übrigens soll ich Grüße der Gespenster eines Spukhauses im Kürbis an einen der Geister auf Schloß Roogna übermitteln. Ich bin nur noch nicht dazu gekommen.«
»An wen denn?«
»Er heißt Jordan. Kennst du ihn?«
»Nicht sehr gut. Ist ein ziemlicher Einzelgänger. Aber ich kenne Millie, die ja gar kein richtiges Gespenst mehr ist. Sie sind eigentlich alle recht nett, bis auf diesen sechsjährigen Geist, der…« Sie hielt inne. Offenbar wollte sie über Verstorbene
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