Nacht-Mähre
Verschwendung!«
»Du vergißt sie ja nicht wirklich«, stellte Imbri klar. »Sie werden Teil deiner Erfahrung, genau wie jeder Baum, den du täglich siehst, jedes Insekt, das du summen hörst, jede Brise, die über deine Haut streicht. All diese Dinge beeinflussen deinen Charakter, und die Träume tun das gleiche.«
»Das ist wirklich erstaunlich!« Chamäleon schüttelte verwundert den Kopf. »Das Leben hat doch tatsächlich noch viel mehr zu bieten, als ich je gedacht hätte! Ob die Mundanier wohl ähnliche Dinge haben, die ihren Charakter prägen?«
»Das bezweifle ich«, meinte Imbri. »Schau dir doch nur mal an, wie brutal und böse sie sind. Wenn sie die richtigen Träume bekämen, würden sie nicht so verwahrlosen.«
Nun durchstießen sie wieder eine Kürbisrinde und traten im Isthmus von Xanth heraus in die Nacht. Der Isthmus war der schmale Landkorridor, der nach Mundania führte, und hier wollte sie Bink und Arnolde von ihrer diplomatischen Mission zurückerwarten. Imbri und das Tagpferd lösten sich wieder voneinander, denn es war wirklich einfacher, allein zu laufen. »Du hast dich gut gehalten«, lobte sie.
»Ich habe mich einfach aufs Laufen konzentriert«, erwiderte er gepreßt im Traum. »Ich wußte ja, daß ich außer Tritt geraten und mich verirren würde, wenn ich mich allzuviel umsehen sollte.«
Sie kamen auf eine Ebene, deren flacher, harter Boden vom matten Licht des abnehmenden Mondes erhellt wurde. Dort ließ es sich wunderbar laufen, und Imbri genoß das herrliche Gefühl. Man mußte sich nur mal vorstellen, daß nicht Mähren, sondern plumpe, polternde Drachen die Träume in Xanth befördern sollten. Nein, dieser Gedanke war zu komisch! Für diese Aufgabe kamen nun einmal nur die schnellen Nachtmähren in Frage.
Da erblickten sie plötzlich eine Gestalt im Mondlicht, die einer tieffliegenden Wolke glich. Von unten war sie flach, dafür oben aber gewölbt. Sie kam direkt auf sie zugeflogen.
Imbri entmaterialisierte, um sich und ihre Reiterin vor feindlichen Angriffen zu schützen. »Versteck dich!« sendete sie dem Tagpferd.
Doch da ertönte eine Stimme aus der Wolke: »Imbri! Chamäleon! Ich bin ‘s – Grundy der Golem!«
Tatsächlich! Imbri nahm wieder feste Gestalt an. »Was machst du denn hier?« fragte sie zornig. »Du sollst doch auf das Schloß des Königs Humfrey aufpassen, während die Gorgone fort ist!«
»Ein Notfall«, sagte er und setzte neben ihnen auf. Die Wolke stellte sich als fliegender Teppich heraus. »Ich habe einen von Humfreys Flaschenzaubern benutzt, um den magischen Teppich ranzuholen und bin sofort hierhergefegt. Ihr seid wirklich ziemlich schnell, das muß ich sagen! Deshalb habe ich lauter Wolken zerfetzen müssen, um euch noch rechtzeitig einzuholen. Gut, daß es noch geklappt hat.«
»Rechtzeitig für was?« fragte Chamäleon.
Plötzlich wirkte der Golem merkwürdig verändert. »Na ja, ihr solltet es erfahren, bevor…«
»Was ist denn nur los?« projizierte Imbri – und als sie den Geist des Golems berührte, bemerkte sie einen Strudel darin. Der Golem erzeugte ja seine eigenen schlimmen Bilder! »Ich mußte es euch sagen – die Sache mit dem Guten Magier. Ich habe einen seiner magischen Spiegel aktiviert. Dazu brauchte man übrigens nur den richtigen Antidefekt-Zauber; wir hätten den Spiegel im Schloß also jederzeit reparieren können und eine ausgezeichnete Kommunikation gehabt. Den Zauber hatte ich aus einem Buch, das mir die Gorgone zurückgelassen hat – für den Fall, daß ich in der Not etwas Magie gebrauchen könnte. Na ja, jedenfalls habe ich den Guten Magier damit geortet, beziehungsweise ich habe es versucht…«
»Haben die Mundanier etwa schon angegriffen?« fragte Chamäleon besorgt.
»Nein, nicht richtig. Doch, im Prinzip wohl schon. Das heißt, es ist eher eine Frage der Definition. Er ist fort.«
»Was?« Chamäleon war ganz verwirrt, genau wie Imbri. »Meinst du damit, der Gute Magier hat seinen Baobab verlassen?«
»Nein, er ist noch da. Aber andererseits auch wieder nicht.«
»Ich verstehe nicht…«
»Humfrey hat’s erwischt!« rief Grundy.
»Nein!« protestierte Chamäleon.
»Es ist viel zu früh!«
»Er ist im gleichen Zustand wie die anderen. Starrt ins blanke Nichts hinaus! Bink muß sofort König werden! Deshalb mußte ich euch auch noch einholen, bevor die Mundanier die ganzen Flaschenzauber im Baobabbaum finden und vernichten oder gar gegen uns verwenden.«
Chamäleon legte wie vom Schlag getroffen
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