Nacht-Mähre
die Männlichkeit schlechthin, hell und kühn, während sie die Essenz des Weiblichen darstellte, dunkel und verborgen.
Er warf ihr Seitenblicke zu und spitzte die Ohren.
»Was ist das für ein Reich der Nacht?« fragte er auf pferdisch, denn sie hatte die Traumsendungen eingestellt.
»Ich kann es Wesen ermöglichen, nachts im entmaterialisierten Zustand mit mir zusammen durch Gegenstände zu dringen und mit Hilfe der Kürbisbahn Abkürzungen zu nehmen. Aber das ist gefährlich, denn in der Kürbiswelt gibt es eine Menge furchterregender Dinge. Vielleicht willst du das Risiko ja nicht eingehen.«
»Und wenn ich es nicht tun sollte«, fragte er schlau, »wo wirst du dann sein, wenn du rossig wirst?«
Von dieser Perspektive her hatte sie die Sache noch gar nicht betrachtet, zumindest nicht bewußt. Natürlich besaß sie damit ja selbst ein Druckmittel! Alle normalen Mähren in Xanth waren im Besitz von Mundaniern, und dieses Risiko konnte er kaum eingehen. Andererseits stand auch keine andere Nachtmähre zur Verfügung. Er war der einzige Hengst – aber sie war auch die einzige Stute. Hengste hatten zwar keinen Einfluß auf die Paarungszeit, waren aber immer daran interessiert. Natürlich würde er versuchen, ihr Herz zu gewinnen, selbst wenn dies für ihn Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Er kannte ihren Zyklus nicht; soviel er wußte, konnte sie genausogut bereits morgen rossig werden. Also mußte er in ihrer Nähe bleiben, um die Gelegenheit nicht zu verpassen.
Also konnte sie sich ja doch schwierig und wählerisch geben, genau wie die Menschenfrauen! Sie konnte ihm ihre Gunst zuteil werden lassen und ihn wieder verstoßen, konnte ihn bis zur Weißglut anstacheln und fallenlassen. Das versprach ja noch eine Menge Spaß – nur daß sie leider wichtige Dinge zu erledigen hatte. Sie mußte Bink auf Schloß Roogna bringen, bevor der Gute König Humfrey seinen großen Patzer beging und von der Bildfläche verschwand, damit Bink König werden konnte und den Feldzug rechtzeitig in die Hand nahm, bevor die Nächstweller das letzte Bollwerk Xanths überrannten. Wie wichtig ihre Mitarbeit doch geworden war!
»Ich bin noch nicht soweit«, erwiderte sie. Das war natürlich keine direkte Antwort auf seine Frage, aber sie wollte ihren neuentdeckten Vorteil nicht vorzeitig verspielen. »Ich muß dich jetzt darin ausbilden, in ständigem Kontakt mit mir zu bleiben, solange es noch ein bißchen hell ist. Dann werden wir im Dunkeln durch die Kürbisse mit Chamäleon bis zum Isthmus reisen.«
»Das klingt gut«, wieherte er.
Das fand sie eigentlich auch. Pferde waren zwar nicht so freizügig, was Körperberührung anging, wie die Menschen, aber sie liebten sie dennoch sehr. »Du mußt mich die ganze Zeit berühren, weil meine Magie sich nur auf Wesen erstreckt, die Kontakt zu mir halten. Wir müssen im Gleichschritt laufen, damit wir nicht auseinandergerissen werden.«
»So zum Beispiel?« fragte er im Traum und trat dicht an ihre Seite, bis er sein Fleisch fest gegen das ihre drücken konnte. Es fühlte sich sanft und warm und fest an; er hatte ein schönes, glattes Fell und wunderbare Muskeln, die den Kontakt zu einer wahren Freude machten.
»Ja, so in etwa«, stimmte sie zu.
So schritten sie nebeneinander her, um schließlich in einen schnellen Trab zu wechseln. Nun klang das Getrappel ihrer acht Hufe wie zwei, als ein Vorderhuf und ein Hinterhuf gleichzeitig den Boden berührten. TRAPP-TRAPP, TRAPP-TRAPP! Ein solcher Rhythmus hatte etwas Erfüllendes an sich; dieses aufeinander abgestimmte Getrappel war die Quintessenz der Pferdenatur.
Da kam – viel zu schnell! – Schloß Roogna in Sicht. Das Tagpferd unterbrach den Körperkontakt und wich zur Seite. »Da hinein gehe ich aber nicht!« schnaubte es, als seine unentwegte Furcht vor Menschenorten wieder die Oberhand gewann.
Imbri seufzte, konnte den Hengst aber verstehen. »Ich bringe sie aus dem Schloß. Warte hier.« Sie ließ ihn grasend im Obstgarten zurück und eilte ins Schloß, wo sie von Chamäleon erwartet wurde, die es nun eilig hatte, ihren Mann abzuholen. Jetzt, da sie sich selbst für einen männlichen Partner zu interessieren begann, konnte Imbri ihr das gut nachempfinden.
Chamäleons Schönheit schien schon während der wenigen vergangenen Stunden nachgelassen zu haben, und nun war an ihrem Äußeren nichts Außergewöhnliches mehr. Doch Imbri wußte, daß sie dafür entsprechend intelligenter geworden war. Vielleicht wollte sie Bink abfangen,
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