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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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mir unterbrichst, bist du verloren.«
    Chamäleon setzte sich im Damensitz auf Imbris Rücken, damit ihr rechtes Bein den beiden Pferden nicht im Weg war, und dann traten sie im Gleichschritt in den Kürbis ein. Offensichtlich hatte der Hengst keine Angst vor neuen Erlebnissen; er fürchtete sich nur vor fremden Leuten. Da fanden sie sich im Kürbis wieder, und der Hengst wieherte beunruhigt, als er die Region der hölzernen Zahnräder erblickte, zwischen denen Imbri ihn geschickt hindurchlenkte.
    »Wofür sind denn diese Räder?« fragte Chamäleon.
    »Die messen die Zeit eines jeden Traumereignisses«, erklärte Imbri. »Es gibt Hunderte von Menschen und anderen Lebewesen, die jede Nacht Tausende von Träumen durchleben. Wenn nun nicht jeder einzelne Traum bis ins Kleinste sorgfältig zeitlich geplant und mit den anderen abgestimmt würde, käme es zu Überlagerungen und Verwischungen. Jede Nachtmähre hat einen exakten Zeitplan, an den sie sich pünktlich halten muß. Diese Zahnräder messen die Zeit genauer, als es jedes Lebewesen tun kann. Trotzdem gibt es immer noch kleine Brüche und Sprünge in den Träumen, weil Zeit- und Ortplanung doch nicht immer absolut exakt aufeinander abzustimmen sind.«
    »Tausende von Träumen, und das Nacht für Nacht!« flüsterte Chamäleon ehrfürchtig. »Ich wußte ja gar nicht, daß hinter den paar Träumen, die ich gelegentlich habe, so viel Präzision steckt!«
    »Du träumst die ganze Nacht über«, widersprach Imbri ihr. »Aber die meisten Träume hast du bis zum Morgen wieder vergessen. Es dürften überwiegend gutartige Träume sein, denn du bist ein guter Mensch; die kommen woanders her. Echte Tagmähren sind unsichtbare Pferde, die die Tagträume und die angenehmen Nachtträume befördern. Die führen nicht besonders genau Buch, und es stört sie auch nicht, wenn sie mal gelegentlich einen Traum verlieren oder verlegen. Es sind glückliche, sorglose Geschöpfe.« Doch da merkte sie, daß sie der Tagschicht vielleicht durch Unwissenheit Unrecht tat; wahrscheinlich waren die Tagmähren ganz anständige Pferde, wenn man sie erst einmal näher kennengelernt hatte. »Trotzdem muß auch ihnen Zeit zugewiesen werden, und sie müssen in die ernsten Träume eingebaut werden, die wir Arbeitsmähren abliefern. Die ganze Koordination ist ziemlich kompliziert.«
    »Ich hätte ja nie geglaubt, daß es im Kürbis so viele Dinge gibt!« wunderte sich Chamäleon.
    »Das wissen nur die wenigsten Menschen«, projizierte Imbri. »Sie glauben einfach, daß alles ganz zufällig passiert. In Xanth gibt es aber nur sehr wenig Zufälliges. Zufall ist eigentlich ein Begriff, mit dem wir unser Unwissen um die wahren Ursachen der Dinge verschleiern.«
    Endlich gelangten sie in eine neue Region. Die war wäßrig, und riesige, fischähnliche Gestalten schwammen darin herum. Kredithaie und Kartenhaie und kleine arme Fische schwammen dicht nebeneinander durch die Kanäle. Diese Fische waren Bewohner des Kürbisses und konnten für unschöne Aufgaben eingesetzt werden, zum Beispiel zum Wüstendienst – was für einen Fisch unangenehm war. Wenn sie eine Nachtmähre belästigt hätten, hätte der Nachthengst ihnen ihr Hinterteil für immer gebrandmarkt und sie an die höllischen Orte geschickt, deshalb ließen sie Imbri und ihre Begleiter trotz mancher drohender Gebärde lieber in Ruhe.
    Nun kamen die Reisenden in ein drittes Gebiet. Hier schnitten sich unentwegt farbige Lichtstrahlen, die in alle Richtungen und noch weiter schwenkten: flammend rote Strahlen ließen alles, worauf sie trafen, in Flammen aufgehen; andere waren gleißend weiß und ließen ihre Opfer in Dampf aufgehen, während schwarze Strahlen Gegenstände vereisten und grüne ihre Ziele Blätter hervorschießen ließen.
    »Ach, ich weiß, wofür die sind!« rief Chamäleon. »Die machen die Dinge heiß oder kalt oder stumpf oder sauber oder schmutzig und so!« Sie wurde tatsächlich immer klüger.
    »Ja«, pflichtete Imbri ihr bei und stellte fest, daß sie ein neuartiges Interesse für all diese Dinge zu entwickeln begann, die ihr seit so langer Zeit vertraut waren. »Wenn man xanthische Träume sich selbst überließe, würden sie schrecklich eintönig werden. Sie müssen etwas geschminkt werden, damit es gute Kontraste gibt. Damit ein Traum richtig wirkungsvoll wird, muß man eine Menge Kunstfertigkeit investieren.«
    »Warum vergesse ich die meisten Träume denn dann?« wollte Chamäleon wissen. »Das ist doch eine schreckliche

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