Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
nicht gleich gesagt?«, fragte Koster.
Philipp schien seinen Wunsch nach einem Anwalt über diese einfache Frage zurückzustellen. Er räusperte sich. »Station 2 hatte mich nicht angefordert … na ja … Ich hatte nicht viel zu tun. Es war nix los. Ich bin eine Runde durchs Haus gecruist.«
»Warst du auf Station 2?«, fragte Liebetrau.
Stille. Philipp schaute sich nach Koster um. Sein Blick flog zwischen den beiden Kommissaren hin und her. Ihm zitterten die Hände, als er seine Zigarettenpackung aus der Hosentasche fingerte und sich eine anzünden wollte.
»Hier ist Rauchen verboten«, sagte Liebchen streng.
Philipp drehte die Zigarette zwischen den Fingern und begann stockend zu erzählen. Er war in der Nacht über die Stationen gegangen. Das ein oder andere Mal hatte er tatsächlich den Nachtschwestern ausgeholfen. Auf Station 2 war er niemandem begegnet. Er war in den Aufenthaltsraum gegangen.
»Was hast du da gemacht?«, fragte Liebetrau.
Philipp zuckte die Schultern und hielt den Kopf gesenkt.
»Kannst du bitte richtig antworten. Für das Aufnahmegerät. Danke.«
Die Zigarette hatte sich mittlerweile aufgelöst, und er schob die Tabakkrümel auf dem Tisch hin und her. Zuerst zu einem kleinen Haufen, den er dann zerstörte, nur um wieder alles zusammenzuschieben. So als müsse er seine Gedanken auch in die richtige Struktur bringen.
»Manchmal lassen Patienten in den Aufenthaltsräumen was liegen. Oder beim Telefon«, sagte er, ohne hochzuschauen.
»Liegen lassen?«, hakte Liebetrau nach.
»Ich bin knapp bei Kasse.«
»Weiter.«
»Bei Drost und Henke stand die Tür offen. Ich wollte einen Blick reinwerfen. Ob alles ok ist und so.« Er seufzte. »Ich sah Isabell Drost. Ich … ich … bin abgekaspert«, stotterte er.
»Erhängt im Badezimmer?« Koster stieß sich von der Wand ab. Er konnte nicht glauben, was er da hörte.
»Ja, am Schal.« Die Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Warum haben Sie sie nicht runtergeholt?«, schrie Koster ihn an. »Vielleicht hätten Sie sie retten können.« Der mahnende Blick seines Kollegen ließ ihn hilflos die Schultern hochziehen und sich angewidert abwenden. Sonst ließ er sich nicht so gehen, aber der Junge machte sich das Leben wirklich einfach.
Philipp ließ den Kopf hängen und starrte auf seine Hände. Koster sah förmlich, wie die Coolness zerfloss. Zurück blieb ein kleiner, abgerissener Junge, der ein zu großes Sweatshirt und ausgetretene Turnschuhe trug. Ein Kind, das man am liebsten seiner Mutter in den Arm gedrückt hätte. Seine ganze Art war Tünche. Fassade eines vom Leben überforderten Jungen ohne Zukunftspläne. Kosters Wut wich Hilflosigkeit.
Philipp stotterte: »Ich … ich … hatte d…« Er war kaum zu verstehen. »Ich hatte sie … nicht gleich gesehen. Das Bett war leer. Ich dachte, sie ist eine … rauchen.« Stockend berichtete er, wie die offene Schublade des Nachtschränkchens ihn ins Zimmer gelockt hatte. Er hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Dabei hatte er auf Gabriele Henke geachtet und sich eine Ausrede überlegt, falls sie aufwachen sollte. Aber sie rührte sich nicht. Bei seinem Rückzug hatte er einen flüchtigen Blick ins Badezimmer geworfen und Isabell dort hängen sehen. Er hatte vor Schreck alles fallen gelassen. Das Geräusch und sein erstickter Schrei mussten zu Gabriele Henke durchgedrungen sein. Sie fing an, sich im Bett zu rühren und zu stöhnen. Automatisch hatte er die Sachen gegriffen und war in Panik aus dem Zimmer gerannt. Danach hatte er sich nicht mehr getraut zurückzugehen.
»Du bist Krankenpfleger«, sagte Liebetrau, und sein Vorwurf war nicht zu überhören.
»Ich … hatte Angst. Ich habe noch nie eine Tote gesehen.« Philipp schien seine Gegenwehr aufgegeben zu haben.
»Was hast du aus dem Nachtschrank mitgenommen?«, fragte Liebetrau.
»Das Tagebuch und Geld. Es ist alles in meinem Spind. Ich wollte das Tagebuch eigentlich lesen, aber ich konnte es doch nicht anrühren.«
»Für Sensibilitäten ein wenig spät, oder?« Liebetrau schien unversöhnlich.
Philipp schüttelte stumm den Kopf. Er hatte aufgehört, die Tabakkrümel hin und her zu schieben. Alles an ihm drückte Resignation aus.
»Hast du irgendjemanden gesehen?«, mischte Koster sich noch einmal ein. Ihm wurde bewusst, dass der Patient Brömme tatsächlich die richtigen Schlüsse gezogen hatte und sie mit Tessa statt mit ihm durchgesprochen hatte. Das ärgerte ihn maßlos.
Philipp antwortete nicht.
Koster bat
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