Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
durch sojageschwängerte, fettfreie Milch mit Zimtgeschmack machte.
»Woher kennen Sie denn die Caffèteria ?«, fragte sie. »Ich liebe die Caffèteria . Die roten Lederbänke und die Zeitungsständer erinnern mich an den alten Wiener Landtmann zu Zeiten Sigmund Freuds. Vielleicht waren wir schon einmal zur gleichen Zeit hier, ohne voneinander zu wissen.«
Das bezweifelte er. An ihr Strahlen hätte er sich erinnert. »Was sagen Sie denn zu den Unterlagen, die ich Ihnen gegeben habe?«, fragte er stattdessen.
»Die Dokumente sind unglaublich. Das muss man sich mal vorstellen …« Mit einer weit ausholenden Geste verlieh sie ihren Worten Ausdruck, als ob sie über ihre nächste aufregende Urlaubsreise in ein exotisches Land sprach.
Koster konnte sich nicht konzentrieren. Er bemerkte eine lang gezogene Narbe im Handteller ihrer rechten Hand. Die war ihm bislang nicht aufgefallen. Woher kam eine Narbe an dieser Stelle?
»Die Fallzahlen … hören Sie zu?«
Er spürte ihre Hand auf seinem Arm, und ein Schauder durchzuckte ihn. »Woher haben Sie die?« Er nahm ihre Hand und drehte sie um.
Sie riss die Hand weg und versteckte sie unter dem Tisch.
»Das ist unwichtig.« Ihr Ton war scharf.
Er sah sie an und wusste, dass dieser Punkt nicht zur Diskussion stand. »Was ist mit den Fallzahlen?«, lenkte er wieder ein.
»Die Fallzahlen stimmen nicht. Er hat so viele Patienten in der kurzen Zeit dokumentiert, dass ich nicht sehen kann, woher die stammen sollen. Aber um das exakt zu recherchieren, bräuchte ich die Rohdatenmatrix und die Chiffrezuordnung.«
»Matrix?«
»Jede einzelne Information zu den Studien-Patienten wird in Zahlen ausgedrückt. Diese Zahlenkolonnen werden in eine einzige Tabelle eingetragen. Aber … ich darf einen Kollegen nicht reinreiten. Und wenn da was faul ist, dann gibt es Regeln. Ich müsste es dem Ombudsmann melden.«
»Bitte, wem?«, fragte Koster.
»Ombudsmann. Ein unparteiischer Forscher. Er prüft die Studien«, erklärte sie ungeduldig.
Er musste so verwirrt aussehen, wie er sich gerade fühlte. Dass seine Ratlosigkeit nicht nur dem Fachjargon, sondern auch seinen Gefühlen für sie geschuldet war, konnte sie ja nicht ahnen.
»Der Ombudsrat ist eine Institution, die einen Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten prüft«, fuhr sie fort und schrieb dabei mit beiden Händen Gänsefüßchen in die Luft. »Man geht nicht einfach hin und schwärzt einen Kollegen an. Das bleibt innerhalb der Universität.«
»Wie praktisch. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.« Es musste sich missmutig und ätzend anhören. Dabei galt sein Ärger nicht ihr, sondern sich selbst. Jedes Mal, wenn er mit ihr zusammen war, verwirrte sie ihn. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, wollte sie sehen, und gleichzeitig machte es ihn wütend.
»Hören Sie, dass ich die Unterlagen hinter dem Rücken meines Oberarztes gelesen habe und dass wir hier sitzen und darüber reden, macht mich zu einer Nestbeschmutzerin. Verstehen Sie das?« Sie errötete.
»Warum tun Sie es dann?« Warum hielt er nicht seinen Mund, er versaute alles. Was, wenn sie ging?
Betretenes Schweigen breitete sich wie ein Tuch über sie aus. Und es war nicht sein Verdienst, dass sie zurück ins Gespräch fanden.
»Ich habe Ärzte kennengelernt, denen die Forscherkarriere wichtiger ist als das Wohlergehen ihrer Patienten. Ich habe mir geschworen, in Ärzten nie Halbgötter in Weiß zu sehen. Wenn Neumann also Scheiße baut, werde ich reden. Nestbeschmutzung hin oder her.« Sie seufzte. »Ach, warum erzähle ich Ihnen das alles überhaupt?«
Er war ein Idiot. Sie offenbarte ihm ihre Gefühle, und er schaffte es, sie immer wieder vor den Kopf zu stoßen. Er fühlte sich schlecht. »Danke.« Er sah ihr in die Augen. »Danke für Ihre Offenheit.«
Sie nickte nur. »Vielleicht interessiert es Sie, dass ich heute mit David Brömme gesprochen habe? Er behauptet, dass auf der Station Geld geklaut wird. Der Pflegeschüler Philipp sei auffällig oft in den Zimmern angetroffen worden. Es hat angeblich Beschwerden bei Schwester Mathilde gegeben.«
»Warum hat sie uns nichts gesagt? Herrje, es geht um Mord, kapiert das keiner?« Koster schüttelte entnervt den Kopf.
»Vielleicht ist das nur Gerede. Brömme hat Probleme mit Nähe und Distanz. Im Moment sucht er meine Nähe. Vielleicht möchte er sich nur wichtigmachen.«
Sie schien selbst zu zweifeln. Und wenn sie als Therapeutin ihrem Patienten nicht glaubte, warum sollte er es
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