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Nacht ohne Ende

Nacht ohne Ende

Titel: Nacht ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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sich wieder zu dem jungen Paar um. Sabra lag jetzt auf der Seite, die Knie bis zur Brust hochgezogen. Im Moment war sie ruhig.
    Ronnie dagegen sah aus, als wäre er kurz davor, den letzten Rest von Selbstbeherrschung zu verlieren. Tiel glaubte nicht daran, dass er sich im Zeitraum eines einzigen Nachmittags von einem Schüler, der nie in Schwierigkeiten geraten war, in einen kaltblütigen Killer verwandelt haben könnte. Sie glaubte auch nicht, dass der Junge überhaupt das Zeug dazu hatte, irgendjemanden zu töten, selbst in Notwehr. Wenn er den Mann, der auf ihn losgegangen war, hätte treffen wollen, hätte er das mühelos tun können. Stattdessen schien er genauso bestürzt und durcheinander wie alle anderen, dass er den Schuss hatte abfeuern müssen. Tiel vermutete, dass er den Mann absichtlich verfehlt hatte und die Pistole nur deshalb abgeschossen hatte, um seiner Drohung mehr Nachdruck zu verleihen.
    Es konnte natürlich auch sein, dass sie völlig falsch mit ihrer Einschätzung lag. Tödlich falsch.
    Laut Gullys Informationen kam Ronnie Davison aus zerrütteten Familienverhältnissen. Sein leiblicher Vater wohnte weit entfernt, deshalb konnte er ihn nicht allzu häufig gesehen haben. Ronnie lebte bei seiner Mutter und seinem Stiefvater. Was, wenn Klein Ronnie ein Problem mit dieser Regelung gehabt hatte? Was, wenn er durch die aufgezwungene Trennung von seinem Vater eine gravierende Persönlichkeitsstörung erlitten und über viele jähre hinweg Hass und Misstrauen in sich aufgestaut hatte? Was, wenn er mordgierige Impulse ebenso erfolgreich vor der Außenwelt verborgen hatte, wie er und Sabra ihre Schwangerschaft verborgen hatten? Was, wenn ihm Russell Dendys Reaktion auf ihre Enthüllung endgültig den Rest gegeben hatte? Er war verzweifelt, und Verzweiflung war ein gefährliches Motiv.
    Weil sie kein Blatt vor den Mund genommen hatte, würde sie, Tiel, wahrscheinlich die Erste sein, die er erschoss. Aber sie konnte nicht einfach nur daliegen und sterben, ohne wenigstens zu versuchen, dem Tod zu entrinnen. »Wenn Sie sich auch nur das kleinste bisschen aus diesem Mädchen machen...«
    »Ich habe Ihnen schon mal gesagt, Sie sollen die Klappe halten!«
    »Ich versuche doch nur, eine Katastrophe zu verhindern, Ronnie«, erwiderte Tiel. Da er und Sabra sich gegenseitig mit Namen angesprochen hatten, würde er sich nicht fragen, woher sie seinen Namen wusste. »Wenn Sie nicht Hilfe für Sabra holen, werden Sie das für den Rest Ihres Lebens bitter bereuen.« Er hörte zu, deshalb nutzte sie seine offensichtliche Unentschlossenheit aus. »Ich nehme an, das Kind ist von Ihnen.«
    »Verdammt noch mal, was glauben Sie denn? Natürlich ist das Kind von mir.«
    »Dann sind Sie doch sicherlich genauso sehr um sein Wohlergehen besorgt wie um Sabras. Sie braucht ärztliche Hilfe.«
    »Hör nicht auf sie, Ronnie«, sagte Sabra schwach. »Die Schmerzen haben jetzt nachgelassen. Vielleicht ist es doch nur falscher Alarm gewesen. Es wird mir schon wieder gut gehen, wenn ich einfach nur eine Weile ausruhen kann.«
    »Ich könnte dich in ein Krankenhaus bringen. Hier irgendwo in der Nähe müsste eines sein.«
    »Nein!« Sabra setzte sich auf und packte ihn an den Schultern. »Er würde dahinter kommen! Er würde uns verfolgen! Wir fahren heute Nacht geradewegs bis nach Mexiko durch. Jetzt, wo wir etwas Geld haben, können wir es schaffen.«
    »Ich könnte meinen Dad anrufen...«
    Sie schüttelte energisch den Kopf. »Dad könnte sich inzwischen mit ihm in Verbindung gesetzt haben. Ihn bestochen haben, oder so was. Wir sind ganz auf uns gestellt, Ronnie, und genau so will ich es haben. Hilf mir hoch. Lass uns von hier verschwinden.« Doch als sie mühsam vom Fußboden aufzustehen versuchte, setzte eine neue Wehe ein, und sie presste beide Hände auf ihren aufgeblähten Bauch. »O mein Gott, o mein Gott!«
    »Das ist doch Wahnsinn.« Bevor Tiel Zeit hatte, den Befehl ihres Gehirns zu verarbeiten, war sie vom Boden aufgesprungen.
    »Hey!«, schrie Ronnie. »Legen Sie sich wieder auf den Boden. Sofort!«
    Tiel ignorierte ihn, drängte sich an ihm vorbei und hockte sich neben das wimmernde Mädchen. »Sabra?« Sie nahm ihre Hand. »Drücken Sie meine Hand, bis der Schmerz nachlässt. Vielleicht hilft das ja.«
    Sabra umklammerte ihre Hand derart fest, dass Tiel befürchtete, ihre Knochen würden zu Staub zermahlen werden. Aber sie ertrug den schraubstockartigen Griff, und gemeinsam überstanden sie die Wehe. Als sich das

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