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Nacht ohne Ende

Nacht ohne Ende

Titel: Nacht ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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große Sache. Die gewaltige Schuld, die ihren Ehrgeiz anheizte. Sie hatte noch längst nicht genug getan, um das wieder gutzumachen. Sie hatte noch nicht für die harten Worte gebüßt, die sie im Zorn und völlig unbedacht dahergesagt hatte und die tragischerweise prophetisch gewesen waren. Sie musste am Leben bleiben, um Wiedergutmachung dafür zu leisten.
    Sie hielt den Atem an, wartete auf den Tod.
    Aber Davisons Aufmerksamkeit war auf etwas anderes konzentriert. »Sie da, in der Ecke!«, rief der junge Mann. »Na los, Bewegung! Sonst knall ich die Alten ab! Es liegt ganz bei Ihnen.«
    Tiel hob den Kopf nur gerade hoch genug, um einen Blick in den Fischaugenspiegel zu werfen, der in einer Ecke an der Decke angebracht war. Ihre Annahme war falsch gewesen. Der Cowboy war nicht gegangen. Im Spiegel beobachtete sie, wie er scheinbar seelenruhig ein Taschenbuch in seine Lücke auf dem drehbaren Ständer zurückstellte. Als er den Gang hinunterschlenderte, nahm er seinen Hut ab und legte ihn auf ein Regal. Tiel hatte plötzlich das vage Gefühl, ihn von irgendwoher zu kennen, aber sie schrieb dieses Gefühl dem Umstand zu, dass sie ihn zuvor schon einmal gesehen hatte, als er in den Laden gekommen war.
    Die Augen, die er fest auf Ronnie Davison gerichtet hielt, wiesen in den äußeren Winkeln ein Netz von feinen Fältchen auf. Schmale, grimmig zusammengepresste Lippen. Der Gesichtsausdruck besagte Leg dich nicht mit mir an, und Ronnie Davison las ihn richtig. Nervös verlagerte er die Pistole von der einen Hand in die andere, bis der Cowboy neben einem der Mexikaner auf dem Fußboden ausgestreckt lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
    Während all dies vor sich ging, hatte die Kassiererin den Inhalt der Kassenschublade in eine Einkaufstüte entleert. Anscheinend war dieser abseits gelegene Laden nicht mit einem Nachttresor ausgestattet, in dem die Tageseinnahmen automatisch deponiert wurden. Soweit Tiel es erkennen konnte, befand sich eine beträchtliche Summe Bargeld in der Tüte, die Sabra Dendy von der Kassiererin entgegennahm.
    »Ich habe das Geld, Ronnie«, sagte die Tochter eines der reichsten Männer von Fort Worth.
    »Okay.« Er zögerte einen Moment, als wäre er sich nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte. »Sie«, sagte er zu der völlig verängstigten Kassiererin. »Legen Sie sich zu den anderen auf den Boden.«
    Sie mochte in den dicksten Winterklamotten vielleicht neunzig Pfund wiegen und hatte offenbar noch nie etwas von Sonnenschutzmitteln gehört. Die Haut, die schlaff von ihren dürren Armen herabhing, sah wie Leder aus, wie Tiel bemerkte, als sich die winzige Frau neben sie legte. Gedämpfte Schluchzer panischer Angst kamen aus ihrem Mund, während sie von einem krampfartigen Schluckaufanfall gepackt wurde.
    Jeder hatte seine ganz eigene Art, auf Todesangst zu reagieren. Das ältere Ehepaar hatte Ronnies Befehl, beide Hände hinter dem Kopf zu halten, missachtet. Die rechte Hand des Mannes war fest um die linke seiner Ehefrau geschlungen.
    Das war's dann wohl, dachte Tiel. fetzt wird er uns alle töten.
    Sie schloss die Augen und versuchte zu beten, aber es war schon eine ganze Weile her, seit sie das letzte Mal gebetet hatte, und sie war aus der Übung gekommen. Die poetische Sprache der King J ames Bibel war ihr entfallen. Sie wollte, dass diese flehentliche Bitte ausdrucksvoll und bewegend klang, überzeugend und beeindruckend, bezwingend genug, um Gott von all den anderen Gebeten abzulenken, die in diesem speziellen Moment zu Ihm emporgesandt wurden.
    Aber Gott würde ihre rein egoistischen Gründe für ihren Wunsch, am Leben zu bleiben, wahrscheinlich sowieso nicht billigen, deshalb fiel ihr auch nichts anderes ein als: »Himmlischer Vater, bitte lass mich nicht sterben.«
    Als der plötzliche Schrei die Stille zerriss, war Tiel überzeugt, dass er aus dem Mund der Kassiererin gekommen war. Sie warf einen schnellen Blick auf die Frau neben ihr, um zu sehen, welch unsägliche Folterqualen ihr zugefügt worden waren. Aber die Frau schrie nicht, sondern schluchzte noch immer erstickt vor sich hin.
    Es war Sabra Dendy, die geschrien hatte, und auf diesen ersten erschrockenen Aufschrei folgte ein: »O mein Gott! Ronnie!«
    Der J unge rannte zu ihr. »Sabra? Was ist los? Was hast du?«
    »Ich glaube, es ist... O Gott!«
    Tiel konnte einfach nicht anders. Sie hob den Kopf, um zu sehen, was dort vorging. Das Mädchen wimmerte und starrte entgeistert auf die Pfütze zwischen ihren

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