Nacht ohne Ende
bei Ihnen hinterlassen.«
»Ich erinnere mich noch daran, wie schlimm es für meine Eltern war.«
Er hat also zwei Menschen, die er liebte, an einen Feind verloren, den er nicht besiegen konnte, dachte Tiel. »Es stand nicht in Ihrer Macht, Ihren Bruder oder Ihre Frau zu retten«, bemerkte sie laut. »Ist das der Grund, warum Sie aufgegeben haben?«
»Sie haben es doch damals miterlebt«, erwiderte er brüsk. »Sie wissen, warum ich aufgegeben habe.«
»Ich weiß nur das, was Sie den Journalisten mitzuteilen bereit waren, was herzlich wenig war.«
»Es ist immer noch herzlich wenig.«
»Sie waren verbittert.«
»Ich war stocksauer.« Er hob seine Stimme zur Lautstärke eines Bühnenflüsterns, aber sie war trotzdem so laut, dass Katherine in den Armen ihrer Mutter zusammenzuckte.
»Auf wen waren Sie sauer?« Tiel wusste, sie musste aufpassen, dass sie es nicht zu weit trieb. Wenn sie ihn zu sehr mit Fragen bedrängte, ihn zu stark unter Druck setzte, würde er womöglich überhaupt kein Wort mehr sagen. Aber sie war bereit, das Risiko einzugehen. »Waren Sie wütend auf Ihre Schwiegereltern, weil sie völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen aufstellten? Oder auf Ihre Kollegen, weil sie ihre Unterstützung zurückzogen?«
»Ich war wütend auf jeden. Und alles. Auf den gottverdammten Krebs. Auf meine eigene Unzulänglichkeit.«
»Also haben Sie einfach das Handtuch geworfen.«
»Richtig, frei nach dem Motto: >Was soll's<, verdammt noch mal.«
»Ich verstehe. Und so haben Sie sich in dieses Niemandsland verbannt, wo Sie sich wirklich nützlich machen könnten.«
Ihr Sarkasmus kam bei ihm nicht an. Seine Miene ließ wachsende Verärgerung erkennen. »Hören Sie zu, ich brauche weder Sie noch sonst irgendjemanden, um meine Entscheidung zu analysieren. Oder um sie anzuzweifeln. Oder zu beurteilen. Wenn ich beschließe, Rancher zu werden oder Balletttänzer oder auch ein Penner, dann geht das niemanden etwas an.«
»Sie haben Recht. Das ist einzig und allein Ihre Privatangelegenheit.«
»Und wo wir schon mal beim Thema Privatangelegenheiten sind«, fügte er in demselben beißenden Tonfall hinzu, »diese Videoaufnahme-Idee von Ihnen...«
»Was ist damit?«
»Geht es Ihnen dabei wirklich nur um Ronnies und Sabras Interesse?«
»Natürlich.«
Doc blickte sie mit unverhülltem Misstrauen an, was Tiel wurmte. Er schnaubte sogar skeptisch.
»Ich glaube, alles, was wir tun können, um Dendy umzustimmen, wird helfen, diese Situation zu entschärfen.« Sie klang selbst in ihren eigenen Ohren defensiv, so als müsste sie sich verteidigen, aber sie fuhr trotzdem fort. »Ich habe nicht den Eindruck, dass Agent Calloway Spaß an dieser Geiselnahme hat. Ungeachtet dessen, was Cain sagt, klingt Calloway für mich wie ein vernünftiger Mann, der zwar seinen J ob macht, dem aber der Gedanke an Feuergefechte und Blutvergießen gar nicht schmeckt. Ich denke, er ist bereit zu verhandeln, um eine friedliche Beilegung des Konflikts zu erreichen. Ich habe lediglich meine Dienste angeboten, was eine friedliche Lösung fördern wird, wie ich glaube.«
»Aber es wird auch eine fantastische Story für Sie dabei rausspringen.«
Seine leise und eindringliche Stimme im Verein mit seinem durchbohrenden Blick ließen Tiel schuldbewusst an den Cassettenrecorder in ihrer Hosentasche denken. »Okay, zugegeben«, gestand sie unsicher, »es wird eine super Story abgeben. Aber ich habe auch ein persönliches Verhältnis zu den beiden Kids hier entwickelt. Ich habe dabei mitgeholfen, ihr Kind auf die Welt zu holen, deshalb ist meine Idee nicht völlig eigennützig.
Sie sind voreingenommen, Doc. Sie können Reporter ganz allgemein nicht leiden, und angesichts Ihrer Erfahrung mit den Medien ist Ihre Aversion auch durchaus verständlich. Aber ich bin nicht so kaltschnäuzig und gefühllos, wie Sie offensichtlich denken. Es liegt mir sehr am Herzen, was mit Ronnie und Sabra und Katherine passiert. Ich mache mir Sorgen um unser aller Schicksal.«
Nach einer bedeutungsschweren Pause sagte er ruhig: »Ich glaube Ihnen.«
Sein Blick war noch genauso durchdringend wie zuvor, aber der Ausdruck in seinen Augen war jetzt ein anderer. Die Hitze des Zorns, die Tiel durchströmt hatte, verwandelte sich allmählich in eine Hitze anderer Art.
»Sie waren fantastisch, wissen Sie«, sagte Doc. »Bei Sabra. Sie hätten die Nerven verlieren können, sodass ich ganz allein mit dem Problem dagestanden hätte. Sie hätten im Sechseck springen können.
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