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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Kindes, das ich war, Beachtung schenken sollen: Wenn ich das Ausmaß des Schreckens, der mich erfaßt hatte, nicht begriff, dann vielleicht deshalb, weil es nichts zu erklären gab. Doch ich wollte unbedingt begreifen. Damit ich ein ruhiges Gewissen hätte, damit ich wieder ein normales Leben aufnehmen könnte? Kann man wieder Geschmack am Leben bekommen, wenn man mit angesehen hat, wie die Seinen abgeschlachtet wurden? Möglicherweise. Ich nicht. Irgend etwas in mir hatte ausgehakt. Also habe ich beschlossen, mir Klarheit zu verschaffen. Es hat lange, höllisch lange gedauert, aber ich hab's geschafft: Ich habe begriffen!«
    »Und was hast du begriffen?«
    die französische Autorität auflehnt.
    »Daß es nichts zu begreifen gibt«, läßt die Grabesstimme vernehmen. »Nichts . Ich hab mich damit herumgeschlagen, die Antwort auf eine Frage zu finden, die man gar nicht zu stellen braucht. Warum tötet man? Wenn man tötet, stellt man sich keine Fragen, man handelt. Die Geste wird zur alleinigen Aussage. Das Töten beginnt da, wo man keine Erklärung mehr erwartet. Sonst hätte man es unterlassen. Oder etwa nicht? Man tötet, damit man gar nicht erst in die Versuchung kommt, zu begreifen. Es ist der Endpunkt einer Niederlage, das Absegnen eines Tabubruchs. Der Mord stellt die Unfähigkeit des Mörders dar, den Augenblick, in dem der Mensch seine Raubtierinstinkte wiedererlangt und aufhört, ein denkendes Wesen zu sein. Der Wolf tötet aus Instinkt. Der Mensch tötet aus Berufung. Er würde sich alle möglichen Gründe ausdenken, damit er seine Tat nicht rechtfertigen muß. Da er für das Leben nicht zuständig ist, wie kann er es dann wagen, darüber nach Belieben zu verfügen?
    Seine Entscheidung stützt sich auf kein annehmbares Argument, sie entsteht aus seiner eigenen Bedeutungslosigkeit. Wer das Leben der anderen nicht achtet, hat von seinem eigenen nichts begriffen. Nichts. Von einem Nichts zum andern, vom Nebel zur Finsternis, sucht er sich beständig und kriegt sich doch nicht zu fassen. Heißt es nicht: >Ruhe! Es wird geschossen     
    Der Professor stellt das Tonbandgerät ab und setzt sich wieder. Er faßt sich ans Kinn.
    »Das hat er nach seinem ersten Aufenthalt im Knast gesagt. Die Gefängnisleitung überstellte ihn zu mir, um zu sehen, ob er das Gedächtnis wiedererlangt hatte und ruhiger geworden war. Anscheinend hatte er plötzlich aufgehört, Krawall zu machen.«
    »Du warst wohl anderer Meinung?«
    »Nein.«
    »Hat er deliriert?«
    »In gewissem Sinne, ja.«
    »Hast du ihn zurück in den Knast geschickt?«
    »Keineswegs. Er hat mich interessiert. Er ist sieben Jahre in meiner Anstalt geblieben. Jedesmal wenn ich dachte, jetzt bist du ganz dicht dran, seine Persönlichkeit zu erfassen, hat er es fertiggebracht, sich hinter einer anderen, noch komplexeren und abscheulicheren zu verschanzen ... Hör dir das auch noch an. Das sind seine Worte, drei Jahre nach dem, was du gerade gehört hast.«
    Die Spulen setzen sich wieder in Bewegung, und eine nunmehr klare Stimme umfängt uns:
    »Weißt du, warum Gott nicht zuläßt, daß sich Engel und Teufel gegenseitig umbringen? Weil er, wenn sie einander den Krieg erklärten, nicht mehr als Schlichter auftreten und sie nicht mehr voneinander unterscheiden könnte. Wenn sich der Haß irgendwo festsetzt, sind alle vom Teufel besessen, die Gerechten genauso wie der Abschaum. Der Krieg ist keine Schachpartie. Er ist ein totales Schachmatt.

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