Nacht über Algier
Heiltrunks?«
»Was für ein Heiltrunk?«
»Mit dem du deine Mordsgrippe schneller als mit einer Hypnosesitzung geheilt hast.«
Er lächelt. Lino lächelt immer, wenn ich ihm auf die Schliche komme. Das sind die Nerven. Ich durchbohre ihn mit dem Finger. Er hebt die Hände zum Zeichen, daß er sich ergibt, legt den ersten Gang ein und fährt mit hundert Sachen los.
Das Gefängnis von Serkadji erinnert mich an eine Zeit, bei der ich mich nicht allzu lange aufhalten möchte. Eine grauenhafte Strafanstalt. Der Gefängniswärter, den sich der Herrgott anscheinend lediglich als Hüter eines unentwirrbaren Schlüsselbundes ausgedacht hat, öffnet mehrere Schnappschlösser, bevor er das Gitter zur Seite schiebt und uns durch schauderhafte Korridore führt, die uns mit ihren Windungen wie in einen Abgrund zu ziehen scheinen. Er ist ungeheuer dick, kurz wie drei übereinandergestapelte Reifen - seine Birne, sein Schmerbauch und sein Hinterteil -, was ihn gleich dreifach beim Gehen behindert. Von Zeit zu Zeit dreht er sich um, schaut, ob wir ihm noch folgen, und guckt jedesmal griesgrämig, wenn er feststellt, daß wir nicht kehrtgemacht haben.
Schließlich bleibt er vor einer massiven Tür stehen, klopft und kündigt uns an. Ein Ungetüm mit einem mächtigen, verfassungswidrigen Schnauzbart empfängt uns.
Es gibt Männer, die sind davon überzeugt, daß ihre Männlichkeit von der Kraft ihres Handschlags abhängt.
Unser Gastgeber gehört zu dieser Sorte. Sein Händedruck will forsch sein, meiner eher zurückhaltend.
»Also?« stößt er hastig hervor.
Ich stelle fest, daß es in dem Raum außer seinem Lederthron keine weitere Sitzgelegenheit gibt. Ich schließe daraus, daß der Typ seinen Besuchern nicht mehr Achtung entgegenbringt als seinen Sträflingen, denen er ganz offensichtlich mit unersättlicher Genüßlichkeit das Leben schwermacht.
»Können wir vielleicht in aller Ruhe ein bißchen miteinander plaudern?« frage ich ihn.
»Das hier ist ein Gefängnis, kein Teesalon, Kommissar.«
»Aha.«
Verblüfft über diesen Empfang, rollt Lino mit den Augen und schluckt seine Empörung widerwillig herunter.
Der Direktor stemmt seine Pranken gereizt in die Hüften. »In welcher Angelegenheit wollen Sie mich sprechen?«
»Wenn Sie überlastet sind, kommen wir später noch mal wieder.«
»Ich bin immer überlastet. Erledigen wir das lieber gleich.«
»Einverstanden, einverstanden, Monsieur ...«, bringe ich mürrisch hervor und kann mich gerade noch beherrschen.
»Monsieur Boualem.«
»Wie Sie wollen, Monsieur Boualem. Ich habe gehört, daß einige Ihrer Insassen am ersten November freigelassen werden sollen.«
»Sie sind gegen die Beschlüsse des Rais?«
Damit versucht er, mir etwas in den Mund zu legen, was ich nicht gesagt habe. Um mich aus dem Konzept zu bringen. Ich atme ein paarmal tief durch, lasse mich von meinen pochenden Schläfen inspirieren, kneife die Augen zusammen, um mir meinen Unmut nicht anmerken zu lassen, und gestehe ihm: »Ganz unter uns, Monsieur Boualem, ich scheiß auf den Rais, seine Eunuchen und alle diejenigen, die meinen, daß ein Bulle nicht das Recht hat, diese kleinen Halunken, die sich für Tempelhüter halten, umzulegen.« Diesmal weicht er zurück, wodurch ich wieder an Boden gewinne. »Richtig, auf dieser Zirkusarche sind Sie der Chef, aber ich bin eine besondere Spezies, und ich hasse Dompteurslehrlinge. Also, Ihren Übereifer bewahren Sie sich für Ihre Tierschau auf, okay? Ich bin dienstlich hier.«
»Tozz!« Boualem stürzt sich fast auf mich.
Mit einer Ruhe, die mir nicht unbedingt eigen ist, sage ich: »Es handelt sich um den Namenlosen ...«
»Und weiter?«
»Professor Allouche ...«
»Professor Allouche ist ein Schwachkopf. Total übergeschnappt. Eine Expertenkommission hat sämtliche unter die Präsidentenamnestie fallenden Häftlinge geprüft. Der Namenlose wurde angehört, abgehorcht, durchgecheckt, verschiedenen psychologischen Tests unterzogen und zum Entlassungskandidaten erklärt. Von einer kompetenten und glaubwürdigen offiziellen Kommission, in der hervorragende Psychologen und integre Führungskräfte vertreten sind. Für mich ist die Sache damit erledigt. Ein Präsidentenerlaß ist unterzeichnet worden, Kommissar. Sie sind Staatsbeamter und sollten wissen, was ein solcher Erlaß bedeutet.«
»Na schön . Kann man den Entlassungskandidaten sehen?«
»Haben Sie ein Mandat?«
»Nur eine Kreditkarte.«
»Bedaure, Gefängniswärter sind nicht so
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