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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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bereit, mir wegen eines falschen Worts die Fresse einzuschlagen.
    »Dann kriech woanders unter.«
    Ich beruhige ihn mit einer Handbewegung, schnappe mir den Professor und beeile mich, das Feld zu räumen.
    Die Stimme des Alten verfolgt mich bis auf die Straße.
    »Weil sie aus der Stadt kommen, halten sie sich für Kolonialherren. Hat er meinen Kaffee probiert, ja oder nein?«
    »Nein, Haj [ (arab.) Im engeren Sinne ein Ehrentitel für Muslime, welche die Haddj, die Pilgerfahrt nach Mekka, absolviert haben. Hier wie generell: höfliche Anrede für alte Leute, Haj für Männer, Hajja für Frauen]«, antworten die Gäste im Chor.
    Und der Alte in schulmeisterlichem Ton: »Zu meiner Zeit brauchte es weniger, um einen ganzen Stamm abzumurksen.«
    »So ist es, Haj ...«
     
    Wieder im Auto, rase ich Richtung Dorfausgang.
    »Du hättest einen etwas gemütlicheren Treffpunkt aussuchen können«, sage ich zu meinem Beifahrer.
    Der Professor beobachtet einen jungen Hirten, wie er einem verirrten Schaf hinterherläuft, und vertraut mir dann mit zusammengekniffenen Lippen an: »Ich habe seit vier Jahren keinen Fuß in eine Stadt gesetzt.«
    »Heute wäre die Gelegenheit dazu gewesen.«
    »In eurer abscheulichen, chaotischen Stadt bekommt ihr nichts mit. Hier auf dem Land kannst du dich dem Elend nicht entziehen. Ich mache mir Sorgen, Brahim.«
    »Du solltest einen Kollegen konsultieren.«
    Er putzt sich die Nase. Seine Augen sind feucht.
    »Hohe Verantwortungsträger denken genauso. Sie stecken mich in eine Anstalt und glauben, damit sei die Sache erledigt . Doch sie täuschen sich. Man kann das Drama nicht abwenden, indem man es ignoriert. Du selbst hast immer wieder betont, daß einen das Unglück einholt, wenn man ihm den Rücken kehrt.«
    Eine riesige Pfütze versperrt mir den Weg, ich muß nach rechts ausweichen. Ich fahre die Böschung hoch, stoße gegen einen großen Stein und schlittere wieder auf die Fahrbahn, wobei schlammiges Wasser unter der Motorhaube hochschwappt.
    »Die Leute, die du da eben gesehen hast, sind keine Bettler und auch keine Verdammten«, fährt er fort. »Es sind ganz normale Menschen, die von einem anständigen Leben träumen. So lange schon machen sie gute Miene zum bösen Spiel, in der Überzeugung, daß sie irgendwann auch mal wieder etwas Sonne abbekommen. Vor zehn Jahren war ich immer am Wochenende hier und habe miterlebt, wie sie sich ins Zeug gelegt haben, ohne sich zu schonen. Sie waren zufrieden, und ihr Lachen war noch kilometerweit zu hören. Ich brauchte mich nicht einmal vorzustellen. Sie nannten mich Hakim, den Weisen, so werden die Ärzte auf dem Land genannt, und hatten einen geradezu frommen Respekt vor mir. Sie waren nicht reich, aber das hinderte sie nicht daran, mich zu unvergeßlichen Festmählern einzuladen. Damals war es eine Schande, einem Fremden auf der Straße nicht seine Gastfreundschaft anzubieten. Heute hat sich der Blick, mit dem man einem Fremden begegnet, verändert. Und die Menschen auch. Wegen des Elends. Jedes Eindringen in ihre Privatsphäre wird wie eine Schändung empfunden. Deshalb verbarrikadieren sie sich hinter ihrem Schweigen und ihrer Feindseligkeit. Um das bißchen Schamgefühl, das ihnen noch bleibt, zu bewahren. Und eingesperrt in ihr armseliges Dasein, stellen sie sich beängstigende Fragen. Womit haben sie es verdient, so tief zu fallen? Was haben sie versäumt, welchen Heiligen haben sie beleidigt? Je häufiger sie keine Antwort finden, desto seltener behalten sie den Kopf oben. Nicht mehr lange, und sie verlieren die Beherrschung. Und dann suchen sie in der Hölle nach einer Erklärung. Wenn sie erst mal soweit sind, weiß ich nicht, wer sie noch zurückhalten könnte. Dann wird Algerien einen Alptraum von schrecklichem Ausmaß erleben.«
    »Noch gibt es keinen Grund, Alarm zu schlagen, Professor. Es läuft bei uns im Moment nicht ganz rund, das ist alles.«
    »Du weißt genau, daß das nicht wahr ist.«
    Endlich komme ich wieder auf die Asphaltstraße. Das Auto verschlingt die Kilometer wie ein Hungriger die Suppe in der Volksküche.
    »Ich bin in einem Kaff geboren, wo es schlimmer war als in deinem Douar, und das hängt mir bis heute an. Aber gerade das hilft mir durchzuhalten . Darf ich jetzt erfahren, warum du mich von meiner abscheulichen, chaotischen Stadt fernhältst?«
    »Bei der nächsten Abzweigung biegst du links ab.«
    Ein schmaler, asphaltierter Pfad führt uns durch Unterholz. Die Sonne spielt zwischen dem Laubwerk Verstecken. Die

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