Nacht über Algier
Visier.«
»Was beweist, daß ich ein echter Algerier bin.«
Er begreift den Zusammenhang nicht, denkt fünf Sekunden über meinen Satz nach, bevor er das Gespräch wiederaufnimmt.
»Was heißen soll?« fragt er mißtrauisch.
Ich erkläre es ihm. »Das Typische am Algerier ist, daß er nicht zu übersehen ist: Entweder blendet er, oder er stellt sich zur Schau.«
»Das Problem ist, daß du den Bogen überspannst.«
»Findest du?«
»Nach dem zu urteilen, was ich von dir höre, ja.«
»Und was erzählt man über mich?«
»Die tollsten Geschichten. Hattest du kürzlich mit einer gewissen Rechtsanwältin Wahiba zu tun?«
»Sie kam vor ein paar Tagen in mein Büro und wollte mir das Maul stopfen.«
»Du solltest auf der Hut sein. Diese Dame ist das reinste Dynamit. Wo sie auftaucht, ist der angerichtete Schaden nicht wiedergutzumachen. Rate mal, wer vor drei Minuten am anderen Ende der Leitung war? Der Kabinettschef vom Rais. Sie schlafen miteinander. Sie mußte nur warten, daß er zu ihr in die Federn gekrochen kam, um ihn gegen dich aufzuhetzen. Offenbar hat es geklappt. Er hat versucht, dich in deinem Büro zu erreichen. Man hat ihm gesagt, daß du bei mir seist. Ich mußte alle Register ziehen, um ihn zu beruhigen. Er hat mir aufgetragen, dich vor deinem Übereifer zu warnen. Diesmal sieht er noch großzügig darüber hinweg. Aber ein weiterer Ausrutscher, und du wirst öffentlich gevierteilt.«
Endlich bemerkt er, daß ich noch stehe, schluckt seinen Speichel herunter und bittet mich, Platz zu nehmen. Ich lasse mich mit saurer Miene auf den gepolsterten Stuhl fallen und schlage die Beine übereinander.
»Du handelst dir offensichtlich gern Ärger ein, Brahim.«
»Ich versuche meinen Lohn zu verdienen.«
Er blickt mich scharf an. »Weswegen bist du hier, Kommissar?« fragt er mit erhobener Stimme.
»Ich befürchte, daß eine öffentliche Gefahr in den Genuß der Präsidentenamnestie gekommen ist.«
»Und weiter?«
»Seit Wochen versuche ich dahinterzusteigen, wo der Haken bei dieser Geschichte liegt. Aber an wen sollte ich mich wenden? Und auf einmal stelle ich fest, daß ein Kollege Mitglied der Präsidentenkommission ist. Also bin ich hier, um zu sehen, ob er mir ein Licht aufstecken kann.«
»Mein Gott!« stöhnt er gereizt. »Es macht mich langsam irre, mit anzusehen, daß ein alter Freiheitskämpfer, ein Held der größten Revolution des Jahrhunderts, so schlecht alt werden kann.«
»Nur Wein wird mit den Jahren besser.«
»Du hast wohl auf alles eine Antwort, was?«
»Es ist stärker als ich.«
»Und obendrein findest du dich auch noch witzig. Ich werde dir ein klitzekleines Glühwürmchen aufstecken, Kommissar. Das wolltest du doch? Dein Problem bist du selbst. Du kannst dich nicht mehr ausstehen. Du suchst Streit in der Hoffnung, daß man dir ein für allemal das Maul stopft. Das zweite Problem: Niemand bequemt sich, dir eins überzubraten. Die Leute haben andere Sorgen. Verdammt noch mal, wach auf!« tobt er und fuchtelt mit einer Gebetsschnur in der Luft herum. »Die Sonne scheint, überall laden Cafeterrassen ein, und an jeder Straßenecke gibt es einen Park. Die Kinder haben ihren Spaß, die Frauen nebeln sich in den Parfümerien ein, und die Jugendlichen tummeln sich vor den Schulen. Begreifst du, worauf ich hinauswill? Der Krieg ist vorbei. Der Feind ist weg. Dem Land geht's großartig. Kein Mord, kein Attentat, keine Geiselnahme; es ist alles in Butter. Aber was die Leute beruhigt, paßt Kommissar Llob, dem geborenen Kampfhahn, leider nicht in den Kram, und wenn er sich nicht herumschlagen kann, muß er wenigstens einen Sturm im Wasserglas auslösen. Genau das ist dein wunder Punkt: deine Unzufriedenheit. Da es nichts zu ermitteln gibt, machst du Jagd auf deinen eigenen Unmut. Und dabei kommst du den anderen ins Gehege. Für nichts und wieder nichts. Du löst nicht nur keinen Sturm aus, sondern du strampelst dich im Gegenteil noch ab, um dich selbst im Glas zu ersäufen. Wenn du einen freundschaftlichen Rat hören willst, dann nimm ein paar Tage Urlaub, und gönn dir eine Kur in Hammam Raabi. Unsere Geschichte hat keinen Haken. Wenn die Kommission es für richtig erachtet, einen Strafgefangenen in den Genuß der Präsidentenamnestie kommen zu lassen, dann weil er es verdient hat. Die Experten sind sorgfältig ausgewählte, hervorragende Wissenschaftler. Und außerdem war ich ja auch noch da, um ihre Arbeit zu kontrollieren. Die Akademiker haben das Wissen und ich die Erfahrung.
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