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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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würde, um ihm eins auszuwischen. Eingezäunte Elendshütten, ein widerlicher Gestank aus den Abflußrinnen und der Eindruck allgemeinen geistigen Verfalls. Seitdem die Kolonisten verschwunden sind, fühlt sich niemand mehr bemüßigt, sich um das Schicksal der Einheimischen zu kümmern. Das Leben spielt sich anderswo ab, und die Landflucht hat erheblich dazu beigetragen, daß solche Flecken wie dieser immer mehr verarmen. Die paar Dickschädel, die die Segel partout nicht streichen wollen, verzehren ihre letzten Überzeugungen in einer aussichtslosen Wartehaltung. Sie überleben mit Illusionen und trübem Wasser. So etwas nennt man Einfalt. Eine äußerst zählebige Einfalt, die auf dem blinden Glauben an göttlichen Beistand beruht. Sicherlich, die offiziellen Reden sind schlagkräftig, doch ihre Demagogie schreit zum Himmel, und trotz immer wiederkehrender Enttäuschungen weigert sich das einfache Volk anzunehmen, daß seine gewählten Vertreter es zum Narren halten könnten.
    Es gibt eine bestimmte Geisteshaltung, die einen so zum Verzweifeln bringen kann, daß man sich am liebsten vom Felsen stürzen würde. Nur daß dieses Opfer nichts änderte!
    Abergläubisch spucke ich auf mein Hemd, wie es bei uns üblich ist, bevor ich mit meiner Klapperkiste in das Ghetto vorstoße. Hier und da schauen mir gebrechliche Greise auf der Schwelle ihrer armseligen Behausungen in einer Weise hinterher, als ginge ihnen bei meinem Anblick etwas Ungehöriges durch den Kopf. Ich nicke ihnen grüßend zu, doch das macht sie noch stutziger.
    Der Dorfplatz wirkt trostlos: ein langgestrecktes Stück Lehmboden mit halb im Schlamm versackten Gehsteigen an den Seiten. Abgesehen von dem Wrack eines alten Lieferwagens und dem Fahrgestell eines Traktors, scheint die Zivilisation alles darangesetzt zu haben, sich nicht in dieser Ecke herumzutreiben.
    Das »Lassifa« befindet sich gleich neben einem Lebensmittelgeschäft, das von einer Horde ausgemergelter Katzen bewacht wird. Der Bengel, der seinen Vater an der Registrierkasse vertritt, langweilt sich so fürchterlich, daß es einem das Herz zerreißt. Nicht ein Kunde in Sicht. Vor dem Cafe hingegen lungert eine Bande von Jugendlichen herum. Ihr Blick ist starr auf das Gebäude gegenüber gerichtet, sie lauern wohl auf den Mehdi, den Messias der Schiiten, der kommen soll, um diesem ganzen Sauhaufen pflichtvergessener Staatsdiener an den Kragen zu gehen.
    Ich setze den Fuß auf die Erde.
    Beäuge die Gegend.
    An der Mauer schlägt ein Plakat eine Gaunervisage für den Gemeindeposten vor. Weitere Kandidaten gibt es nicht - oder aber ihre Plakate wurden abgerissen. Allmählich begreife ich, warum das Dorf so vor sich hin dämmert. Aber nicht das Elend dieser braven, tüchtigen, von ihren geheiligten Chefs betrogenen Leute ist es, was mich bedrückt. Es ist mein verehrter Psychiater, der es zweifellos mit seinen Insassen aufnehmen kann. Man muß nicht ganz dicht sein, wenn man ein derart traumatisierendes Kaff als Treffpunkt auswählt.
    Der Professor lehnt am Tresen. Er trägt noch immer den gleichen Kittel, sogar seine Pantoffeln hat er anbehalten. Die Hände aufgestützt, lauscht er aufmerksam den Schauergeschichten des Gastwirts. Neben ihm bekunden zwei Bauern mit Turban ihr Mitgefühl und bitten im stillen, daß man sich an ihre Bestellung erinnern möge.
    Der Wirt hebt den Kopf. Sofort erkennt er den Bullen hinter meiner Guter-Familienvater-Miene und fängt an, alles blank zu putzen.
    Jetzt entdeckt mich auch der Professor und macht »Ah!«, als habe er mich hier nicht erwartet. Darauf wirft er einen Blick auf seine Uhr, um festzustellen, ob ich mich verspätet habe.
    »Wenigstens einmal pünktlich auf der Matte.«
    »Fragt sich, was ich da soll.«
    »Hast du Zeit, eine Tasse Kaffee zu trinken?«
    »Ich habe gerade die Ruhr hinter mir.«
    »Was willst du damit sagen?« donnert eine Stimme in meinem Rücken.
    Ich drehe mich um.
    Unter einem ausgezackten Loch, das eine Dachluke darstellen soll, thront ein alter Bauer in einem Korbsessel. Er ist in einen glitzernden Umhang gehüllt, seine Wangen schimmern rosa, und sein Bart ist gepflegt. Den Knüppel auf seinen Knien hält er wie ein Zepter. Das muß der Hausherr sein.
    Da er sieht, daß ich schweige, fängt er von neuem an:
    »Hast du meinen Kaffee probiert?«
    »Ich bin ziemlich abgebrannt«, erwidere ich, um Ärger zu vermeiden, denn ich habe zweifellos einen echten Beduinen alten Schlags vor mir, stolz und empfindlich, die Faust geballt,

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