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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Ich kenne den menschlichen Faktor besser als jeder andere. Seit Jahrzehnten stehen nun schon Menschen unter meinem Kommando, erziehe und umerziehe ich alle möglichen Individuen.«
    »Und ich bin seit Jahrzehnten Polizist. Was mich juckt, ist nicht die Aussicht auf Ärger, sondern eine Vorahnung. Ich bin sicher, daß ich den Finger in eine Wunde gelegt habe, und ich denke nicht daran, die Sache fallenzulassen.«
    Hocine ist entmutigt. Mein Starrsinn macht ihn fertig. Als Zeichen der Kapitulation hebt er die Arme und knurrt: »Tu, was du nicht lassen kannst.«
    »Ich muß einen Blick in seine Akte werfen.«
    »Von wem sprichst du eigentlich?«
    »Von dem Namenlosen.«
    Er runzelt die Stirn. »Bist du sicher, daß sein Fall von der Kommission geprüft wurde?«
    »Wenn ich lüge, will ich zur Hölle fahren.«
    Er kneift die Augen zusammen und versucht sich zu erinnern. »Das sagt mir nichts.«
    »Der Namenlose alias Dermato. Seit 1971 im Gefängnis. Wegen einer Serie schrecklicher Morde ...«
    »Hör auf, mir steht's bis hier. Meine Kommission hat eintausenddreihundertsiebenundfünfzig Fälle geprüft. Fall für Fall. Nach bestem Wissen und Gewissen. Es gab weder Einflußnahme von außen noch leichtfertige Entscheidungen. Wenn dein Tatverdächtiger freigelassen wurde, dann weil wir der Meinung waren, daß er absolut in der Lage sein würde, in die Gesellschaft zurückzukehren und sein Leben neu zu beginnen. Du sagst, daß er seit 1971 im Knast war. Das heißt seit siebzehn Jahren. Wenn man so lange hinter Gittern war, gibt es für die Aufseher keine Geheimnisse mehr. Wenn also die Anstaltsdirektion ihn für eine eventuelle Freilassung vorgeschlagen hat und die Experten diesen Vorschlag anerkannt haben, beweist das, daß der Häftling ein Recht auf eine zweite Chance hat. Es gibt keinen Haken dabei, Brahim, nicht einmal ein Häkchen. Du siehst Gespenster, dabei will der arme Kerl nichts anderes als noch einmal von vorn anfangen.«
    »Kann sein. Ich verlange nichts Unmögliches, ich will lediglich einen Blick in seine Akte werfen. Die paar Informationen, die ich einholen konnte, sind zu mager, um daraus ein zuverlässiges Täterprofil zu erstellen.«
    »Bei mir existiert keine solche Akte.«
    »Du könntest mir vielleicht sagen, wo .«
    »Ich habe dir nichts zu sagen«, unterbricht er mich. »Willst du etwa ein Gegengutachten anfertigen lassen, oder was?«
    »Ich will einen Mörder daran hindern, Unschuldige zu zerschnippeln.«
    »Nun warte doch erst einmal ab, bis er zur Tat schreitet, dann kannst du ihm immer noch erzählen, was für Rechte er hat. Es gibt kein Gesetz, das uns ermächtigt, einen Kerl einzulochen, nur weil uns seine Nase nicht gefällt.«
    »Dann muß man das Gesetz überdenken.«
    »Du bist total übergeschnappt. Aber ich habe nicht die Absicht, eine andere Kommission einzuberufen, um den Fall zu überprüfen. Ich habe dir zehn Minuten meiner Zeit geopfert. Und ich hatte viel Geduld. Jetzt muß ich leider telefonieren.«
    Ich stehe auf.
    Er hat seine Hand bereits zum Hörer ausgestreckt. Als ich an der Tür bin, sagt er: »Ach so, dein Lieutenant Lino, bist du sicher, daß er noch ganz richtig tickt?«
    »Er sieht gut aus, das reicht ihm.«
    »Wenn es so ist, warum zieht er sich dann nicht ein nettes Mädel an Land?«
    »Er hat bereits eins.«
    »Richtig, aber das ist ein paar Nummern zu groß für ihn.«
    »Solange er seine Nummer schieben kann.« Er legt den Hörer aus der Hand und starrt mich an. »Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
     
    10
     
    In Algier braucht man nur die Straße zu überqueren, um von einem Jahrhundert ins andere zu gelangen. Und wenn man die Stadt gar hinter sich läßt, kann es bisweilen passieren, daß sich das Auto in eine regelrechte Zeitmaschine verwandelt, die einen in die Vergangenheit zurückversetzt. Aus ebendiesem Grund bin ich nicht gerade vor Begeisterung an die Decke gesprungen, als Professor Allouche mir vorschlug, dem Getöse von Bab El-Oued zu entfliehen und bei ihm vorbeizuschauen. Ich habe ihm gesagt, daß es für mich nicht in Frage komme, noch einmal den Fuß in sein Purgatorium zu setzen. Daraufhin erwiderte er, daß das ja auch nicht sein müsse und wir uns im »Cafe Lassifa« treffen könnten, das sich in einem vorsintflutlichen Nest, ein paar Steinwürfe von seiner Anstalt entfernt, befindet.
    Ich mußte dreimal nach dem Weg fragen, bevor ich in einem total heruntergekommenen Kaff landete, in das man nicht mal seinen unliebsamen Schwager mitnehmen

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