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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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so bedrückend, man konnte nicht einfach so tun, als ob nichts wäre . Der Lieutenant leerte ein Glas nach dem anderen und eine Flasche nach der nächsten. Sternhagelvoll stellte er sich dann mitten in den Saal und beschimpfte die Gäste als dreckige Bourgeois. Wir haben versucht, ihn zu beruhigen. Aber er ist nur noch mehr ausgerastet. Als er auf mich einschlug, haben meine Leute ihn gepackt, um ihn nach draußen zu bringen. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, sich loszureißen . Plötzlich stand er jedenfalls mitten im Raum und zückte seine Pistole. Panik brach aus, es war ein Alptraum. Dann schien ihm bewußt zu werden, was er angerichtet hatte. Ohne seine Waffe wegzustecken, hat er sich torkelnd davongemacht.«
    Ich merke, wie auch mir die Knie weich werden, und lasse mich in einen Sessel fallen. In was für eine verdammte Scheiße hast du dich da hineingeritten, Lieutenant Lino!
     
    Ich habe ihn die ganze Nacht gesucht, sämtliche Streifen in der Stadt mobilisiert. Die Polizeiwachen wurden alarmiert und die Bars sorgfältig durchkämmt. Lino hat sich in Luft aufgelöst. Meine Unruhe steigert sich noch um das Zehnfache, als der Lieutenant im Laufe des Tages kein Lebenszeichen von sich gibt. Schreckliche Vermutungen geistern mir durch den Kopf. Wie so viele junge Algerier ist auch Lino, obwohl schon über Dreißig, emotional in der Pubertät steckengeblieben, also empfindlich und unberechenbar, vor allem nach einer so gewaltigen Enttäuschung. Er wäre imstande, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen oder sich ohne Fallschirm von einem Turm zu stürzen.
    Ich schicke die Männer in die Krankenhäuser und Leichenhallen, und bei jedem Telefonläuten gefriert mir das Blut in den Adern. Am Abend kommen meine Spürhunde mit eingezogenem Schwanz und leeren Händen zurück.
    Ich bleibe bis tief in die Nacht im Büro, rühre zitternd in meinem Kaffee und bete zu den Schutzheiligen der Stadt. Nichts.
    Am nächsten Morgen teile ich dem Direx Linos Verschwinden mit. Der schlägt mit der Faust auf den Schreibtisch und schleudert mir dann ein Boulevardblatt ins Gesicht. Der Vorfall im >Sultanat bleu< steht auf Seite eins.
    »Dein Hundesohn von Lieutenant ist heute morgen in allen Zeitungen der Aufmacher«, wirft er mir an den Kopf. »Ich vermute, du bist auch noch stolz darauf.«
    »Ich glaube nicht, Monsieur.«
    Er ist nahe daran, sich die Haare auszureißen, besinnt sich dann eines Besseren und versucht Ruhe zu bewahren. »Warum nur, Brahim? Was will er beweisen? Was will er damit erreichen? Den Zorn des Himmels auf mich herabbeschwören?«
    »Es tut mir außerordentlich leid, Monsieur.«
    »Ich hatte dir gesagt, daß du ihn in einen Hundezwinger sperren sollst, Brahim«, bellt er mich an.
    »Stimmt, Monsieur.«
    »Wie um Gottes willen sollen wir diese Katastrophe nur in den Griff bekommen, kannst du mir das sagen? Was ist bloß in ihn gefahren, daß er sich im >Sultanat< so aufgeführt hat? Selbst ich würde mich nicht dorthin wagen. Da verkehren nur reiche Schnösel und Betonköpfe. Wie soll ich da nur wieder rauskommen?«
    »Das weiß ich auch nicht, Monsieur.«
    »Die da oben sind außer sich«, gibt er mir wutschnaubend zu verstehen. »Vor zwei Minuten hatte ich den Wali [ (arab.) Oberster Verwalter der Wilaya] am Apparat. Mir hat der Atem gestockt, so hat er mich abgekanzelt. Der Minister persönlich hat die Einsetzung eines Disziplinarrats angeordnet. Sie werden Kleinholz aus ihm machen und aus uns gleich mit.«
    »Ich verstehe, Monsieur.«
    Er schüttelt völlig erledigt den Kopf, dreht mir dann den Rücken zu und bittet mich, ihm aus den Augen zu gehen.
     
    Drei Tage später parke ich meine Karre an der Ecke der Rue Baba Arrouj, eines engen Gäßchens, kaum breit genug, um eine frische Brise hindurchziehen zu lassen. Zu beiden Seiten der Straße stehen baufällige Häuser, die ihre Fäkalien auf den Bürgersteig entleeren. In diesem Winkel hat sich nach den Studenteneinsätzen in den siebziger Jahren anscheinend nicht mal mehr der Schatten eines Müllmanns blicken lassen. Aus den Pfützen steigt ätzender Gestank auf.
    Zwischen zwei Lieferwagen taucht ein kleiner Bengel auf, einen Knüppel in der Hand und eine ausgebleichte Armbinde unterm Ellenbogen. Er kann nicht älter sein als zwölf und ist so mager wie seine Aussichten. Seine Hose ist zerknittert und sein Pullover zerlumpt, und auf seinen Schultern lastet das Elend dieses Landes. Jungen wie ihn gibt es massenweise. Sie geistern von morgens bis abends

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