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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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durch die Straßen. Statt Stiefel zu putzen - eine von den Apparatschiks als entwürdigend angesehene und deshalb abgeschaffte Tätigkeit -, versuchen sie ihr Brot mit der Bewachung parkender Autos zu verdienen.
    »Soll ich auf Ihren Wagen aufpassen, Monsieur?« schlägt er mir vor.
    »Nicht nötig. Ist 'ne Bombe drin deponiert.«
    Der Bengel gibt auf. Er steckt seinen Knüppel unter die Achsel und nimmt wieder seinen Beobachtungsposten ein.
    Ich steige die Treppe zum Hotel hinauf und drehe mich auf der letzten Stufe um.
    »He, Kleiner!«
    Der Bengel kommt wie ein junger Hund angelaufen. Ich werfe ihm ein Geldstück zu, das er im Flug auffängt.
    »Danke, sehr großzügig«, sagt er.
    Ich betrete das Hotel. Der Mann an der Rezeption hebt uninteressiert den Blick, als ich dort aufkreuze.
    Ich hole meine Dienstmarke hervor.
    »Bist du das, der angerufen hat?«
    »Kommt drauf an ...«
    »Hauptkommissariat.«
    »Ach ja.« Er tritt hinter seiner Box hervor. Ein kleines Männchen mit einem Bauch, der ihm bis zu den Knien, und einem Hintern, der ihm bis zu den Waden hängt.
    Das Hotel ist in einem erbärmlichen Zustand, man fühlt sich wie verloren in den schier endlosen, engen Korridoren, von denen modrige Treppen abgehen. Am Ende eines mit Teppich ausgelegten Ganges erreichen wir die Nummer 46. Der Mann von der Rezeption läßt seinen Schlüsselbund trostlos scheppern, fummelt am Schloß herum und stößt die Tür auf. Im Zimmer herrscht Dunkelheit. Ich suche den Schalter. Aggressives Licht durchflutet den Raum. Quer über dem Bett liegt ein Kerl mit offenem Mund. Ein paar auf dem Teppich verstreute Whiskyflaschen geben eine Vorstellung vom Ausmaß der Verwüstung. »Seit wann ist er hier?«
    »Seit drei Tagen. Er ist abends gekommen und wollte in Ruhe gelassen werden.«
    »Er ist seit drei Tagen hier, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben, und das hat dich nicht beunruhigt?«
    »Ich bin im Dienst, Herr Polizist. In meinem Beruf ist Diskretion alles. Wenn der Gast sagt: >Don't disturb<, dann wird er auch nicht gestört.«
    Ich beuge mich über den Schlafenden, nehme sein Handgelenk, fühle den Puls. Lino atmet noch. Er hat sich vollgekotzt und in die Hosen geschissen.
    »Heute morgen«, erzählt der Mann von der Rezeption, wobei er die Konsequenzen seiner Fahrlässigkeit abwägt, »da habe ich mir gesagt, was treibt der Typ von der 46 eigentlich? Seitdem er hier ist, war er noch nicht mal zum Essen draußen. Er hat weder geklingelt noch telefoniert. Da ist was faul, dachte ich mir. Vielleicht hat er sich einfach verdrückt, ohne zu zahlen, wäre ja nicht das erste Mal. Also wollte ich mich vergewissern und bin hochgestiegen, um nachzusehen, was los ist. Der Gast hatte sich nicht verdrückt. Er lag ganz genau an derselben Stelle und war in dem Zustand, indem Sie ihn jetzt vorfinden. Da habe ich nicht länger gefackelt. Ich bin immer korrekt mit Gott und der Polizei gewesen, Kho. Ich habe seine Taschen durchsucht, um zu wissen, wer er ist, und bin auf seinen Dienstausweis gestoßen .« Mit zugeschnürter Kehle erkundigt er sich: »Glauben Sie, daß er tot ist, Monsieur?«
    »Rufen Sie einen Krankenwagen.«
    Der Mann von der Rezeption knallt die Hacken zusammen und stürzt lärmend die Treppen hinunter.
    Ich hocke mich hin, um nachzudenken, und suche dann vergeblich nach der Knarre des Lieutenants.
    Schließlich ziehe ich meine Jacke aus, kremple die Ärmel meines Pullovers hoch und mache mich daran, meinem Assistenten die Windeln zu wechseln, bevor die Krankenträger eintreffen.
     
    Teil II
     
    Offen ist unsere Wunde
    im Alibi der Zeiten
    Staub und Blumen
    verschmelzen darin.
    Djamel Amrani
     
    12
     
    Lino muß sich fühlen wie eine Bäuerin, die im Heu vergewaltigt wurde: verstört, besudelt, gedemütigt. Er verschanzt sich hinter seinem Schreibtisch, mürrisch und unansprechbar, mit einer Miene, als ob wir für sein Unglück verantwortlich wären. Da er in der Zentrale eigentlich nur aufkreuzt, um sich mit irgendwem anzulegen, und nicht, um wirklich präsent zu sein, macht er uns langsam das Leben zur Hölle.
    Hundertmal habe ich versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, habe ihm vorgeschlagen, Urlaub zu nehmen, damit er etwas Abstand von seiner Enttäuschung gewinnt; er hat mir einen Stoß Papier vor die Füße geschleudert und sich dann bis spätabends aufs Klosett geflüchtet.
    Ich habe einen befreundeten Psychologen aufgesucht. Als Lino das erfuhr, hat er mir vor dem gesamten Personal der Zentrale eine

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