Nacht über Algier
Arschlöcher«, knirscht Lino zwischen verkrampften Kiefern.
»Ein Grund mehr, sie zu ignorieren.«
»Ich will sie nicht ignorieren.«
»Das denkst du. Aber du irrst dich: Du verabscheust nicht ihre Knete, sondern dein Unglück. Man muß lernen, seiner Mißgunst einen Riegel vorzuschieben.«
Er bekommt einen neuen Wutanfall.
»Deine Vorträge kannst du dir schenken. Ich kann diese fetten Ärsche nicht ausstehen ... Und du wirst mir mit deinen weisen Sprüchen meinen Haß nicht austreiben. Sie haben auf dem Rücken des Steuerzahlers ordentlich abgesahnt, während wir bei den Pfadfindern im Paradeschritt >Qassaman< [ (arab.) »Das Pfand«, seit 1963 Nationalhymne von Algerien] gesungen haben. Heute halten sie sich für besonders schlau und meinen sich alles herausnehmen zu können. Ich bin Polizist, und ich werde mir gleichfalls keinen Zwang antun. Dem erstbesten, der mir zwischen die Finger kommt, verpasse ich einen Totenschein, bevor er seine Aussage noch mal durchlesen kann.«
»Diese Leute wissen nicht, wozu ein Polizist da ist. Für sie ist das lediglich jemand, der den Verkehr regelt. Laß dir bloß nicht einfallen, gegen sie aufzumucken, dann trampeln sie auf dir herum. Ich sage das nicht, um dich zu ärgern. Jeder lebt in seiner Welt, das ist alles. Wenn ich nicht Karriere gemacht habe, dann deshalb, weil ich es nicht versucht habe. Die Schuld liegt allein bei mir. Wir kommen arm und nackt zur Welt. Und dann macht jeder aus seinem Leben, was er kann. Die Augen in einer Hütte aufzuschlagen verbietet dir nicht, sie in einem Palast zu schließen. Unter einem Adelswappen geboren zu sein ist kein Hinderungsgrund dafür, auf einer Müllhalde zu krepieren. Jeder folgt seiner Bestimmung.«
Lino zittert. Er spuckt schließlich zur Seite, als Zeichen, daß er das Gespräch abbrechen will. Schwankend entfernt er sich, und mir ist klar, daß es unnütz ist, ihm hinterherzulaufen.
Bliss' zwergenhafte Gestalt in der Tür wirkt lächerlich, trotzdem legt sich ein düsterer Schatten über mein Büro. Die Hände in den Taschen, lehnt er sich mit einer Schulter an die Wand und schaut mich einen Augenblick an.
»Bist du sicher, daß bei dir alles in Ordnung ist, Brahim?«
»Seh ich so aus, als ob nicht?«
»Ich habe beobachtet, wie du eben dein Auto eingeparkt hast. Ziemlich abenteuerlich.«
»Ich war mit meinen Gedanken woanders«, gebe ich zu.
Ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, wagt er sich zögernd weiter in meine Höhle vor. Seltsamerweise scheint er verlegen.
»Ich gehöre zu der Disziplinarkommission, die sich mit der Akte deines Lieutenants befassen soll.«
»Dann hast du ja, was du wolltest, oder?«
»Red keinen Stuß. Ich mache mir große Sorgen. Lino ist depressiv. Er wird diese zusätzliche Belastungsprobe nicht aushalten. Das wäre so, als würde man einer Katze eine Granate zwischen die Pfoten werfen.«
»Wann soll die Anhörung stattfinden?«
»Anfang nächster Woche.«
»Bis dahin wird er sich mit Sicherheit noch nicht wieder gefaßt haben.«
Bliss steht jetzt eine Spucklänge von meinem Schreibtisch entfernt. Er tut so, als interessiere er sich für das Bild des Rais an der Wand. Mit Unschuldsmiene läßt er sich auf einem Stuhl nieder und schlägt die Beine übereinander.
»Ich habe dem Chef gesagt, daß das nicht der geeignete Zeitpunkt sei, ihm auf den Zahn zu fühlen. Er ist einverstanden, aber er weiß nicht, wie man die Sitzung des Disziplinarrats verschieben kann. Ich habe ihm vorgeschlagen, die Schonfrist für die fragliche Person zu verlängern und ihr auf diese Weise etwas entgegenzukommen. Er will darüber nachdenken. Es wird schwierig, der Kläger ist schließlich nicht irgendwer. Ich habe dich gewarnt. Dein Schützling hat sich mit einem Rhinozeros angelegt, und siehe da, man hat ihn zerquetscht wie ein Stück Dreck.«
»Was passiert ist, ist passiert.«
»Das Problem ist, daß das erst der Anfang ist.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich will auf gar nichts hinaus. Ich laß mir wegen Lino graue Haare wachsen, das ist alles.«
»Hör auf, sonst zerreißt es mir noch das Herz.«
Bliss nimmt die Hände aus den Taschen und hebt sie hoch. »Ich sehe, daß du genauso beschränkt bist wie er.« Er steht auf. »Kannst du eigentlich ab und zu auch mal höflich sein?«
»Nie zu einer halben Portion.«
Er kneift die Lippen zusammen und verläßt kopfschüttelnd das Zimmer. Ich beeile mich, die Tür hinter ihm zu schließen.
Später in der Kantine stelle ich fest,
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