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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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fast im Boden versinkt, lächle ich ihm zu und wechsle das Thema: »Hat jemand angerufen?«
    »Niemand, Monsieur ... Der Inspektor aus der Dritten hat Sie gesucht.«
    Ich lasse ihn stehen und gehe in mein Büro.
    Ich habe noch nicht mal meine Schubkästen angetastet, als der Direktor anruft. Seine Stimme ist nicht wiederzuerkennen. »Komm schnell rauf«, keucht er.
    Ich finde ihn hinter seinem Terminkalender, in Hemdsärmeln, den Schlips gelöst und den Kopf in die Hände gestützt. Es ist schon öfter vorgekommen, daß er schlaflose Nächte im Büro zugebracht hat. Aber heute morgen scheint er zum ersten Mal völlig fertig mit den Nerven zu sein. Ständig fährt er sich nervös durch die Haare, als wolle er sie sich ausreißen. Am anderen Ende des Zimmers steht Bliss mit im Rücken gekreuzten Händen am Fenster und beobachtet die Stadt. Seine starre Haltung läßt mir die Nackenhaare zu Berge stehen.
    »Herr Direktor«, sage ich.
    Der Chef scheint Stimmen zu hören. Er hebt den Kopf, blickt wie benommen um sich und erahnt mich dann wie durch einen Nebel. Er braucht eine ganze Weile, bis er mich erkannt hat.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl, Herr Direktor?«
    »Weiß Gott nicht!« brummt Bliss, ohne sich umzudrehen.
    »Kann mich mal jemand aufklären?«
    »Das kannst du selber tun, Brahim Llob. Es brennt nämlich, und zwar so gewaltig, daß alles, was wir im Laufe der Jahre aufgebaut haben, vernichtet zu werden droht und unsere schönen Pläne gleich mit.«
    Der Direktor macht endlich Anstalten, wieder zu sich zu kommen. Er fängt an, sich mit seinem Schlips abzutupfen, atmet tief durch und fordert mich auf, Platz zu nehmen.
    »Es ist etwas Schreckliches passiert, Brahim«, teilt er mir mit brüchiger Stimme mit. »Schrecklich, schrecklich, schrecklich. Und das schlimmste ist, daß alles auf mich zurückfällt. Was habe ich um Gottes willen getan, um das zu verdienen, in meinem Alter, nach einer mustergültigen Laufbahn?«
    Bliss begreift, daß der Chef nicht so bald auspacken wird. Er dreht sich um und kommt näher.
    »Man hat einen Tatverdächtigen festgenommen. Es handelt sich um einen Beamten aus der Zentrale.«
    »Nein«, stoße ich, von Panik erfaßt, hervor.
    »Doch. Die Männer von der Ermittlung haben ihn vor einer Stunde eingebuchtet.«
    »Das ist unmöglich, es liegt ganz bestimmt ein Mißverständnis vor. Lino würde so etwas niemals tun.«
    »Siehst du«, jammert der Direktor. »Sogar du hast an ihn gedacht. Es genügt, von einem Polizeioffizier zu sprechen, und gleich denkst du an Lino. Die ganze Zeit versuche ich schon, mir einzureden, daß es sich um ein Mißverständnis handelt, daß keiner meiner Männer es wagen würde, die Behörde auf eine solche Art und Weise in den Schmutz zu ziehen . und doch, Brahim, es ist Lino von der Kripo, der gerade verhaftet wurde. Er wird beschuldigt, einen Anschlag auf Haj Thobane verübt und seinen Fahrer ermordet zu haben.«
    Ich höre das Stöhnen des Direktors kaum noch, ich kann das Zittern, das meine Hände, mein Gesicht, meine Eingeweide und meinen Rücken erfaßt, nicht mehr unterdrücken. Im Bruchteil einer Sekunde senkt sich die Nacht über das Zimmer, ehe sie von mir Besitz ergreift. Meine Kehle trocknet aus, meine Schläfen pochen, ich merke, daß ich fast am Ersticken bin.
    Bliss betrachtet mich voller Verachtung. Ich habe den Eindruck, vor seinen Augen zusammenzuschrumpfen.
     
    13
     
    Am nächsten Tag will ich Hocine, die Sphinx, sprechen, aber der Bereitschaftsdienst vom BI teilt mir mit, daß Hocine El-Ouahch einen Außentermin wahrnimmt. Ich gebe mich also mit seinem Sekretär Ghali Saad zufrieden. Der zögert einen Moment, bevor er mich auffordert, zu einem mir genehmen Zeitpunkt in sein Büro zu kommen. Ich entscheide mich für die Mittagszeit. Ich muß sicher sein, daß das gesamte Personal in der Kantine ist, damit ich mich mit Ghali ungestört unterhalten kann.
    Um 12 Uhr 10 ist niemand mehr auf den Gängen, nicht ein Nachzügler mehr in den Büroräumen. Ich erreiche das Sekretariat, klopfe an die Tür, keine Antwort. Geduldig warte ich dreißig Sekunden, dann klopfe ich noch einmal, wieder nichts. Dabei haben mir die Jungs am Einlaß doch versichert, daß Monsieur Saad das Haus nicht verlassen habe. Außerdem ist es dem persönlichen Sekretär von Hocine El-Ouahch nicht erlaubt, sich in dessen Abwesenheit auf dem Treppenabsatz die Beine zu vertreten. Da sich nichts rührt, beschließe ich, ohne Aufforderung einzutreten. Ich drehe den Türknauf,

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