Nacht über Algier
gerichtet.
»Würden Sie es wagen, die Hand gegen mich zu erheben, wenn Sie kein Bulle wären? Ich würde Sie zerquetschen wie einen alten Kürbis. Aber das Gesetz ist auf Ihrer Seite, es ist auf solche wie Sie zugeschnitten, stimmt's, Kommissar? Sie dreschen als erster los, und dann verstecken Sie sich dahinter. Finden Sie nicht, daß Sie es sich ein bißchen zu leicht machen? Los, packen Sie die Knarre weg, und zeigen Sie, daß Sie nicht nur Schiß in der Hose haben.«
Ich ziehe meine Jacke aus, lege meine Knarre und meine Dienstmarke auf die Erde. Er überrumpelt mich mit einem Haken. Ein Blitz durchzuckt mein Gehirn, ein zweiter folgt. Unter den Schlägen gehe ich fast in die Knie, aber mein Stolz verbietet mir aufzugeben. In einem Anfall von Wut raffe ich mich wieder auf. Wir verkeilen uns ineinander und stoßen unflätige Verwünschungen aus. Plötzlich ruft uns ein Knall zur Ordnung. Es ist Soria. Sie hält meine Beretta mit beiden Händen auf uns gerichtet.
»Es reicht!«
Labras und ich gehen auseinander, wie hypnotisiert von der Mündung der Knarre.
»He!« rufe ich der Historikerin zu. »Das ist kein Damenspielzeug.«
»Ihr seid lächerlich. Es ist nicht zu fassen, daß euch das nicht selbst auffällt. Die Zeiten haben sich geändert, meine Herren. Die Ideale, für die ihr euch eingesetzt habt, gelten nicht mehr, und was sich im Land abspielt, steht in völligem Gegensatz zu euren Utopien. Habt Erbarmen mit euch selbst, und verschont mich mit eurem Affentheater. Ich betreibe eine ernsthafte Untersuchung.«
»Was aus den Schwüren von gestern geworden ist, dafür bin ich nicht zuständig. Aber ich erlaube niemandem, Männer und Frauen, die für ihr Vaterland gestorben sind, als Fellagas zu bezeichnen.«
»Und was haben Sie getan, um die Toten in Ehren zu halten, Sie Tempelhüter?« schleudert mir der Bauer entgegen. »Das Land, für das so viele gestorben sind, ist in den Händen von nichtswürdigen Hunden, und was haben Sie dagegen unternommen, Herr Freiheitskämpfer, außer die Beinamputierten zu jagen und auf die Einarmigen einzuschlagen?«
»Ich war kein Fellaga.«
»Waren Sie wenigstens im Maquis?«
»Und das hier?« brülle ich und schiebe meinen Pullover hoch, unter dem eine Schußwunde zwei Zentimeter neben dem Herzen zum Vorschein kommt. »Meinst du, das stammt von einer brennenden Zigarette?«
»Und das hier?« erwidert er und läßt seine Hose herunterfallen. »Meinst du, das ist mein Eunuchenabzeichen?«
Mir stockt der Atem.
Soria wendet sich nicht ab. Obwohl die Nacktheit des Mannes sie schockiert, starrt sie wie gebannt auf das dichte Schamhaar, das sein Gebrechen verdecken soll: Penis und Hoden sind abgeschnitten.
Grabesstille legt sich über die Berge.
Labras zieht die Hose hoch und setzt sich wieder. Schwer atmend, aber ohne viel Aufhebens zu machen. Er dreht mir den Rücken zu, als wolle er mich aus der Welt vertreiben, und sagt, ausschließlich an Soria gewandt:
»Sie hätten ihn in seinem Zoo lassen sollen, Madame. Raubtiere werden äußerst wild, wenn man sie im Wald spazierenführt .«
»Es tut mir aufrichtig leid, Monsieur Labras.«
Er blickt sie traurig an.
»Nicht so schlimm. In einer Hinsicht ist es sogar besser so: Auf diese Weise bleibe ich meiner verstorbenen Frau wenigstens bis zum Schluß treu ... Wegen Tarek Zoubir«, wechselt er unvermittelt den Ton, »werde ich eine Ausnahme machen. Er hat es nicht verdient, so zu enden. Ich schulde ihm viel. Er war der einzige Funktionär, der bereit war, mich zu empfangen. Er hat mich angehört, und er war es, der mir geraten hat, mich hier niederzulassen, weit weg von den Menschen und ihrer Rachsucht. Ohne sein persönliches Eingreifen hätte die Bank mir nicht mal das Geld für einen Strick vorgestreckt, damit ich mich daran hätte aufhängen können. Die Dreckskerle, die ihn getötet haben, werden nicht davonkommen. Ich nehme jedes Risiko auf mich, damit sie dafür bezahlen. Sagen Sie mir, was Sie wissen wollen, Madame, ich bin bereit.«
Soria reicht mir die Knarre rüber. Ich stecke sie in den Gürtel und gehe ein Stückchen weiter weg Luft schnappen, aber nur so weit, daß ich nichts von dem Gespräch verpasse.
»Tarek Zoubir sollte uns einen entscheidenden Zeugen vorstellen, genau an dem Tag, als er ermordet wurde, Monsieur Labras. Wegen der Familie Talbi, die in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1962 verschwunden ist. Er wollte ernsthaft mit uns kooperieren. Leider sind sie uns zuvorgekommen. Und Debbah
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