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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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    »Hören Sie mir mit diesem Hund auf. Er ist krepiert, wie er gelebt hat. Ein Schurke von der allerschlimmsten Sorte. Er hat viele Unschuldige bestialisch abgeschlachtet. Wenn ich nur an ihn denke, möchte ich am liebsten auf sein Grab scheißen.«
    Soria hebt die Arme. »Verzeihung. Ich wußte nicht, daß Sie ihn hassen.«
    »Ihn hassen? Das wäre zuviel der Ehre für ihn. Aber halten wir uns nicht mit so was auf, Madame. Eine Sache steht jedenfalls fest: Diejenigen, die seit dieser Nacht als vermißt gelten, sind erschossen worden, mit Ausnahme eines Kindes, das fliehen konnte und das die Leute des Linkshänders monatelang, ja vielleicht sogar jahrelang gesucht haben, ohne es zu finden. Ich war dabei, Madame. Ich vergesse niemals, was an jenem Abend passiert ist. Niemals. Ich erinnere mich an jede Einzelheit, an jeden Fluch der Fel ., der Schergen des Linkshänders, an jede Träne auf den Gesichtern der Frauen und Kinder, an jede flehentliche Bitte der Menschen, die man im nächsten Moment beseitigen würde. Ich war zwei Tage vorher festgenommen worden. In den Wäldern, wo ich mich nach den ersten Massakern versteckt hatte, bei denen meine Frau, mein Vater und zwei meiner Brüder dran glauben mußten. Ich hatte gehofft, einen Hafen zu erreichen und nach Frankreich übersetzen zu können, aber die Truppen des FLN durchkämmten die Region, errichteten Sperren am gesamten Straßennetz, kontrollierten ausnahmslos alle Reisenden. Die Jagd auf die Harkis lief auf Hochtouren. Ich war auch einer, und auf meinen Kopf war eine Prämie ausgesetzt. Ich weiß nicht, wie viele Tage und Nächte ich im Wald versteckt gelebt und mich von wilden Pflanzen und Früchten ernährt habe. Eines Morgens bin ich zu einer Quelle runtergegangen, um meinen Durst zu löschen, da sind sie über mich hergefallen. Einige wollten mir auf der Stelle die Kehle durchschneiden, andere bestanden darauf, daß man mich dem Chef vorführte. Ich wurde zu einem ausgedienten Beobachtungsposten gebracht und mit gefesselten Händen in eine Höhle gesteckt. Am selben Tag kamen noch drei weitere Harkis mir Gesellschaft leisten, einer, schon halbtot, erlag seinen Verletzungen noch vor Sonnenuntergang. Am nächsten Tag wurden wir nach einer Scheinexekution wieder in die Höhle geschafft. Abends traf ein Traktor unter scharfer Bewachung ein. Ich erkannte Kai'd und seine Familie, ebenso die Ghanems. Sie hatten Koffer bei sich und begriffen nicht, was man ihnen vorwarf. Ein paar Stunden später war die Familie Bahass an der Reihe, sie kreuzte zu Fuß hier auf. Ich erinnere mich noch, daß der älteste Sohn seine Großmutter huckepack trug. Kurz darauf lud ein Laster die Talbis ab. Niemand begriff, weshalb sie hier waren. Ich hatte den Eindruck, daß selbst die Entführer es nicht wußten. Sie warteten auf die Befehle des Linkshänders.
    Erst als sie Debbah mit einer Tasche voller Schlachtmesser kommen sahen, dämmerte es ihnen. Gegen Abend hieß es, der Linkshänder habe unsere Tötung angeordnet. Die beiden Harkis und ich beschlossen, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Die Killer fingen mit den Kaids an. Die Szene spielte sich auf der Lichtung ab, die vom Vollmond taghell erleuchtet war. In dem Moment, als sie begannen, die Kinder zu fesseln, hat Kai'd geschrien: >Sie werden uns die Kehle durchschneiden!< Panik brach aus. In dem allgemeinen Durcheinander sind die drei Familien in alle Richtungen geflohen. Die Leute des Linkshänders haben wie wild um sich geschossen. Meine beiden Gefährten und ich haben die Schießerei genutzt, um abzuhauen, und den Kerl, der vor der Höhle Wache stand, erschlagen. Ein paar Leichen lagen schon auf der Lichtung herum. Die Kinder und Frauen, die von ihren Verfolgern wieder eingefangen worden waren, schrien. Mir pfiffen die Kugeln um die Ohren. Ich rannte, bis ich nicht mehr konnte. Meine gefesselten Hände machten die Sache nicht leichter. Ich prallte gegen einen Baumstamm und fiel kopfüber in einen Graben. Drei bewaffnete Männer haben mich aufgegriffen. >Der ist für mich<, hat Debbah gesagt, und während die anderen mich am Boden hielten, zog der Schlächter mir die Hosen runter. Er hat mich an Ort und Stelle entmannt. Da ganz in der Nähe Schreie zu hören waren, hat er den Jüngsten beauftragt, mich noch ein bißchen leiden zu lassen, bevor er mir eine Kugel in den Kopf jagen sollte. Ich war nicht in Ohnmacht gefallen. Der Schmerz war so grauenhaft, daß er mich wachhielt. Von überallher hörte ich Schreie von

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