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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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zu Tode Gequälten. Der Typ, der mir den Rest geben sollte, schlotterte am ganzen Leib. Ich flehte ihn an, meinen Todeskampf abzukürzen. Er heulte und schüttelte den Kopf. Sein Gewehr schlackerte in seinen Armen hin und her. Er hat den Gewehrlauf an meinen Kopf gehalten, hat sich umgedreht und vorbeigeschossen, und dann ist er geflohen.«
    »Warum die Talbis?« bedrängt ihn Soria.
    »Ich weiß es nicht. Ich habe mir diese Frage schon oft gestellt. Es gibt Vermutungen, aber die sind kaum ernst zu nehmen. Wir sind hierzulande so sehr an Manipulation und Desinformation gewöhnt, daß ich nur das glaube, was ich mit meinen eigenen Händen berühren und mit meinen eigenen Augen sehen kann. Bei den Talbis blicke ich nicht durch. Die anderen, die waren reich, man hat ihnen übelgenommen, daß sie den bewaffneten Kampf nicht finanziell unterstützt haben. Die Weigerung, sich an den Kriegslasten zu beteiligen, galt als Hochverrat.«
    »Tarek hat behauptet, daß sie das getan haben, damit sich der Linkshänder ihr Eigentum unter den Nagel reißen konnte.«
    »Das hat er danach auch getan. Die offizielle Version aber bleibt die erstere.«
    »Die Talbis waren nicht wohlhabend.«
    »Richtig. Das ist der Knackpunkt der Geschichte. Später gab es ein Gerücht, das sie betraf, aber das hat sich nicht lange gehalten.«
    »Und was war das?«
    »Vielleicht war das ja nur leeres Gerede.«
    »Erzählen Sie trotzdem.«
    »Ich habe nicht das Recht dazu. Ich kenne jemanden, der besser darüber berichten kann als ich.«
    »Wohnt er hier in der Nähe?«
    »Ja, aber ich weiß nicht, ob er bereit ist, mit Ihnen zu sprechen. Er war damals eng befreundet mit Tarek. Und außerdem jemand, auf den Verlaß ist. Meiner Meinung nach kennt er fast die ganze Wahrheit.«
    »Können Sie uns zu ihm führen?«
    »Da muß ich ihn erst fragen.«
     
    Jelloul Labras holt uns gegen Mitternacht im Hotel ab. Er empfiehlt uns, den Lada stehenzulassen und uns zu Fuß durch das Gewirr von Gassen zu schlängeln, das die Altstadt durchzieht. Er geht uns mehrmals voraus und erkundet die Gegend, dann wieder drückt er uns in eine Toreinfahrt, macht kehrt, um sich zu vergewissern, daß uns niemand folgt. Labras ergreift diese Maßnahmen nicht, um unseren Weg abzusichern, er hat unserem Zeugen vielmehr versprechen müssen, daß ihm kein Risiko entsteht. Obwohl ich darauf brenne, am Bestimmungsort anzulangen, lasse ich ihn das Terrain sondieren, wie er es für richtig hält.
    Ein Auto steht für uns bereit. Labras bittet uns, auf der Rückbank Platz zu nehmen, schwingt sich selbst hinters Steuer und jagt den Wagen mit ausgeschalteten Scheinwerfern über den Asphalt. Er schaltet sie erst ein, als wir die Stadt in Richtung Medea verlassen. Die Nacht ist schwarz, der Himmel düster. Auf der Autobahn kommt uns kein einziges Auto entgegen. Das Land ist in tiefes Dunkel gehüllt, nur ab und zu ist das Gekläff streunender Hunde zu vernehmen. Wir erreichen eine Ausfahrt, müssen aber wegen einer vom Hochwasser beschädigten Brücke einen Schlenker machen. Labras löscht die Scheinwerfer, steigt aus und horcht. Nach drei Minuten kehrt er zurück, sicher, daß uns niemand auf der Spur ist.
    Er startet sanft und steuert, immer noch ohne Licht, gerade auf ein Wäldchen zu. Ein Blitz durchsticht den Horizont, gleich darauf fegt ein Windstoß in die Bäume. Die ersten dicken Regentropfen zerplatzen auf der Windschutzscheibe. Die wieder eingeschalteten Scheinwerfer beleuchten einen holprigen, von dichtem Gestrüpp eingefaßten Weg.
    Soria starrt vor sich hin. Ihre Hände rutschen ungeduldig auf ihren Knien hin und her.
    »Ist es noch weit?« frage ich.
    Labras gibt mir keine Antwort. Er manövriert das Auto geschickt in den ausgefahrenen Wagenspuren. Wir sind ungefähr zwanzig Minuten gefahren, als hinter einer Hecke kümmerlicher Pinien Hundegebell ertönt. Der Köter bewacht ein verfallenes Gebäude, in dem gerade das Licht angeht. Auf der Veranda erscheint eine Gestalt und gemahnt den Hund zur Ruhe. Ich erkenne Rabah Ali wieder, den Mann, der mich im Hotel aufgesucht und mir geraten hatte, mit dem Hühnerzüchter Kontakt aufzunehmen. Er hat sich verändert, er wirkt forsch, beinahe aggressiv, keine Spur mehr von dem verängstigten Monsieur, der sich so schnell wie möglich wieder verkrümeln wollte. Er bittet uns in ein über und über mit Teppichen ausgelegtes, von bronzenen Lampen beleuchtetes Wohnzimmer. Wir nehmen auf Polsterbänken Platz. Jelloul Labras will sich nicht setzen,

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