Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Wanduhr über dem Ladentisch.
»Meiner Meinung nach ist der Mistkerl gar kein richtiger Mensch.« Ich schaute ihn an. »Der stinkt, dass kein Waschen was nützt. Wenn er den Bürgerrechtsnigger nicht umgebracht hat, hat er jemand anders was angetan.«
Er zerkaute ein Ingwerplätzchen und spülte es mit einem kleinen Schluck Sodawasser hinunter. Sein Gesicht wirkte im Zwielicht wie mit einem Netz aus Fältchen überzogen.
Gerüchte verbreiten sich schnell unter den Bewohnern der hiesigen Gegend.
Am Dienstagmorgen kam Helen Soileau in mein Büro bei der Dienststelle des Sheriffs im Bezirk Iberia und sagte, wir müssten einen gewissen Mingo Bloomberg aufgreifen und festhalten, einen Ganoven aus New Orleans, der als wichtiger Zeuge bei einem Mordanschlag auf einen Polizisten im French Quarter gesucht werde.
»Kennst du ihn?«, fragte sie. Sie trug eine gestärkte weiße Bluse, eine blaue Hose und hatte ihre Dienstmarke am Waffengurt hängen. Sie war eine blonde, muskulöse Frau, deren Haltung und Miene immer so wirkten, als erwarte sie einen Affront oder eine Beleidigung.
»Er ist Ausputzer für die Familia Giacano«, sagte ich.
»Darüber haben wir nichts vorliegen.«
»Dann hapert’s bei der Absprache mit der Polizei von New Orleans. Mingos Opfer verschwinden spurlos. Fischfutter ist seine Spezialität.«
»Na großartig. Expidee Chatlin passt auf ihn auf.«
Wir besorgten uns einen Streifenwagen und fuhren auf Nebenstraßen durch den südlichen Teil des Bezirks, vorbei an zahllosen Zuckerrohrwagen, die zu den Raffinerien unterwegs waren. Dann folgten wir einem Dammweg durch ein teilweise abgeerntetes Feld, bis wir auf eine Fischerhütte mit einem Blechdach stießen, die etwas zurückgesetzt in einem Hain aus Persimonen- und Pecanbäumen stand. Vor der mit Fliegengitter umgebenen Veranda stand ein Streifenwagen mit offenen Vordertüren. Das Funkgerät war ausgeschaltet.
Expidee Chatlin war bislang hauptsächlich Verkehrspolizist gewesen oder hatte Betrunkene vom Gefängnis zur Gerichtsverhandlung geleitet. Er hatte schmale Schultern, einen breiten Hintern, Speckwülste um die Taille und einen dünnen Schnurrbart, der aussah wie mit einem Fettstift gezogen. Er und ein anderer Deputy saßen gemeinsam mit Mingo Bloomberg an einem Holztisch auf der Veranda und aßen Sandwiches.
»Was treiben Sie hier eigentlich, Expidee?«, fragte Helen.
»Auf euch warten. Was denn sonst?«, erwiderte er.
»Wie geht’s, wie steht’s, Robicheaux?«, fragte Mingo Bloomberg.
»Kann nicht klagen, Mingo.«
Er trank seine Bierdose aus und steckte sich eine Zigarette in den Mund, ohne sie anzuzünden. Er trug eine graue Hose ohne Gürtel, Slipper und ein langärmliges, mit Blumen bedrucktes Hemd und sah ziemlich gut aus. Seine Haare waren kupferrot und glatt nach hinten gekämmt, die Augen eisblau, der Blick penetrant wie ein Stinkefinger.
Er klappte sein Feuerzeug auf und riss es trocken an, als ob wir nicht da wären.
»Stehn Sie auf und lehnen Sie sich an die Wand«, sagte Helen.
Er senkte das Feuerzeug und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Sie nahm ihm die Zigarette aus dem Mund, warf sie hinter sich und richtete ihre Neun-Millimeter auf sein Gesicht.
»Sag irgendwas Dummes, du Sack. Mach schon. Tu mir den Gefallen«, sagte sie.
Ich zog ihn hoch, schubste ihn an die Wand und trat seine Füße auseinander. Als ich ihn abklopfte, stieß ich auf etwas Hartes, Eckiges in seiner linken Hosentasche. Ich nahm ihm eine 25er Automatik ab, zog das Magazin heraus, überzeugte mich, dass sie nicht durchgeladen war, und warf sie Expidee in den Schoß.
»Hat mir keiner was von gesagt. Ich hab gedacht, der Typ soll ein Zeuge sein oder so was Ähnliches«, sagte er.
Helen fesselte Mingo die Hände auf den Rücken und schob ihn auf die Fliegengittertür zu.
»Hey, Robicheaux, Sie und Ihre Kollegin können sich wieder abregen«, sagte er.
»Das liegt bei Ihnen, Mingo«, sagte ich.
Wir waren jetzt vor der Hütte, unter dem grauen Himmel, im Wind, der das Laub von den Bäumen am Rande der Lichtung blies. Mingo verdrehte die Augen. »Bei mir? Ihr solltet ’ne Registrierkasse oben auf eure Streifenwagen draufstellen«, sagte er.
»Könnten Sie das näher erklären?«, sagte ich.
Er warf einen Blick zu Helen und wandte sich dann wieder an mich.
»Lass uns einen Moment allein«, sagte ich zu ihr.
Ich ging mit ihm zur anderen Seite des Streifenwagens, öffnete die Hintertür, und er setzte sich hinter das Maschendrahtgitter.
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