Nacht ueber den Highlands
empört, doch der Graf hatte bereits seine Heldenbrust vor ihr entblößt. Was für eine Brust das war! Sie noch einmal zu sehen, konnte sie wahrhaftig nicht gebrauchen; ihre überhitzte Fantasie machte ihr ohnehin schon genug zu schaffen. »Was tut Ihr da eigentlich?«
»Nassir wird meine Sachen anziehen und vor aller Augen davonreiten«, erklärte er, »damit mich die Weiber in Ruhe lassen und Zenobia mir in Ruhe erklären kann, was hier vorgeht.«
Rowena schoss die Röte in die Wangen, als auch Nassir sich ohne weiteres zu entkleiden begann.
Zenobia führte sie lächelnd beiseite. »Ihr müsst das verstehen, Mylady. Sie mussten jahrelang in einem Gefängnisloch leben und haben dabei notwendigerweise jedes Schamgefühl abgelegt.«
»Aber woher wusste er, was Nassir von ihm wollte?«
»Wie gesagt, sie haben so lange zusammengelebt, haben Seite an Seite gekämpft, dass sie einander selbst jetzt noch ohne Worte verstehen.«
Wie um ihre Behauptung zu beweisen, führte Zenobia sie zielsicher zu der Box, in der Stryders Ross stand. Dass die sarazenische Dame das Pferd des Grafen kannte, ließ auf eine große Vertrautheit zwischen ihnen schließen.
»Ich grüße dich, Goliath«, sagte Zenobia und tätschelte den Hals des Pferdes. »Ist schon eine Weile her, nicht wahr, mein alter Freund?«
Sie ließ das Tier erst an ihrer Hand schnuppern, bevor sie es sattelte.
Nassir, der inzwischen Stryders Sachen trug, trat zu ihnen.
»Ihr seht überhaupt nicht wie er aus«, meinte Rowena skeptisch.
Nassir lächelte. »Das merkt keiner, glaubt mir. Alles, was sie sehen werden, sind die schwarzen Haare und die Kleidung.«
Sobald er zu Pferde saß, versteckte sich Stryder hinter einem Heuballen, und sie und Zenobia öffneten das Stalltor.
Nassir gab dem Pferd die Sporen und ritt wie der Wind aus dem Stall.
Die Frauen stoben kreischend auseinander.
»Lord Stryder kommt zurück!«, riefen einige.
Doch als sie merkten, dass ihre Beute entwischt war, zerstreuten sie sich grummelnd und brummelnd. Nicht wenige warfen Rowena zum Abschied ausgesprochen giftige Blicke zu.
Rowena war erstaunt, dass es funktioniert hatte. Erst als sich der Hof geleert hatte, merkte sie, dass auch Zenobia flink in Deckung gegangen war, sobald das Stalltor offen stand.
»Na endlich«, atmete Stryder auf. »Endlich Frieden.«
Rowena musterte ihn stirnrunzelnd. Er sah in der schwarzen Sarazenenrobe fremd und doch unglaublich attraktiv aus.
»Hast du noch was anderes zum Anziehen dabei?«, fragte er Zenobia.
Sie schüttelte den Kopf. »Dazu war keine Zeit.«
»Rowena, hättet Ihr vielleicht etwas, das Ihr ihr borgen könntet?«
Sie nickte. Zenobia war zwar gut einen Kopf größer als sie selbst, doch genauso groß war Elizabeth. Sie glaubte
kaum, dass ihre Gefährtin etwas dagegen hätte, Zenobia vorübergehend ein paar Gewänder zu überlassen.
»Danke«, sagte Stryder. »Ihr holt ein paar Kleider, und wir machen uns derweil ungesehen auf den Weg zu meinem Zelt. Wir treffen uns dort so bald wie möglich. In Ordnung?«
»Aye.« Sie blickte den beiden nach und hoffte nur, dass sie nicht gesehen wurden. Es wäre übel für Stryder, wenn man ihn ausgerechnet jetzt, wo er vom halben Königshof für den Mörder Cyrils gehalten wurde, im Gewand eines Sarazenen ertappte.
Ihr gefiel jedoch, wie er sich bewegte, so rasch und leise wie ein Windhauch. So selbstsicher. Ganz Mann und doch noch etwas mehr.
Etwas, das ein weiches Gefühl in ihr hervorrief, ein Gefühl, gegen das sie sich wehrte. Es war allzu leicht, sich in Lord Stryder zu verlieben. Ihn zu zähmen wäre jedoch weit schwieriger.
Aquarius beobachtete von seinem Versteck aus, wie die beiden Sarazenen den Stall verließen.
Sie hatten ihn also gefunden. Wie sie es geschworen hatten.
Töte oder du wirst getötet.
Nur dies eine hatten ihm seine Folterer geschworen, als sie ihm schließlich die Freiheit Wiedergaben. Er hatte zwei Jahre Zeit bekommen, um seine Aufgabe zu erfüllen. Wenn alle Männer, deren Namen man ihm auf den Arm tätowiert hatte, in dieser Zeit von seiner Hand getötet worden wären, dann würden sie ihm das eigene Leben lassen.
Wenn nicht, würde man einen anderen schicken, um ihn zu töten.
Seine zwei Jahre waren vor einem Monat abgelaufen, doch seitdem hatte er nichts von seinen Feinden gehört.
Aquarius hatte gehofft, dass es vorbei wäre, dass man ihn in Ruhe ließe. Keiner wusste, dass er in Outremer gewesen war. Keiner kam an ihn heran.
Was sich nun als Irrtum
Weitere Kostenlose Bücher