Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
suchen? Wenn er wirklich hinter einem Verdächtigen her war, dann mußte es sich schon um ein Schwerverbrechen handeln, anderenfalls würde die britische Polizei wohl kaum das Geld für ein Clipper-Ticket herausrücken. Vielleicht war er aber auch nur einer von denen, die jahrelang auf eine Traumreise sparen, auf eine Flußfahrt auf dem Nil oder eine Fahrt im Orientexpreß. Oder er war ein Flugzeugfanatiker, der einmal diesen großartigen Transatlantikflug miterleben wollte. Wenn‘s so ist, hoffe ich, daß er die Reise auch genießt, dachte Harry. Neunzig Pfund sind ‚ne Menge Moos für einen Polizisten.
    Geduld gehörte nicht zu Harrys Tugenden, und so beschloß er, als Membury sich nach einer geschlagenen halben Stunde immer noch nicht vom Platz gerührt hatte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. »Haben Sie das Cockpit schon gesehen, Mr. Membury?« erkundigte er sich.
    »Nein …«
    »Es soll ganz toll sein, heißt es. Angeblich ist es so groß wie der gesamte Innenraum einer Douglas DC-3, und das ist ein ziemlich großes Flugzeug.«
    »Meine Güte.« Membury zeigte lediglich höfliches Interesse, er war also kein Flugzeugenthusiast.
    »Wir sollten es uns einmal ansehen.« Harry hielt Nicky an, der gerade mit einer Terrine Schildkrötensuppe an ihm vorüberkam. »Dürfen die Passagiere das Flugdeck besichtigen?«
    »Aber ja, Sir, gerne!«
    »Und ist dies ein günstiger Zeitpunkt?«
    »Ein sehr guter Zeitpunkt, Mr. Vandenpost. Weder landen noch starten wir, die Besatzung stellt gerade keine Uhren um, und die Wetterlage ist ruhig. Einen besseren Zeitpunkt hätten Sie sich gar nicht aussuchen können.«
    Genau darauf hatte Harry spekuliert. Er stand auf und sah Mem- bury erwartungsvoll an. »Wollen wir?«
    Im ersten Moment schien Membury ablehnen zu wollen. Ein Mann wie er ließ sich nicht so ohne weiteres herumkommandieren. Auf der anderen Seite hätte eine Ablehnung unfreundlich gewirkt, und er wollte vermutlich nicht unangenehm auffallen. Nach kurzem Zögern erhob er sich jedenfalls und sagte: »Aber sicher doch.« Harry ging voran, vorbei an der Küche und den Herrentoiletten, dann rechts ab und die Wendeltreppe hinauf. Unmittelbar am Ende der Treppe betrat er das Flugdeck. Membury folgte ihm auf dem Fuß.
    Harry sah sich um. So hatte er sich das Cockpit eines Flugzeugs ganz und gar nicht vorgestellt! Es war sauber, ruhig und komfortabel und wirkte eher wie ein Büro in einem modernen Geschäftshaus. Harrys Tischpartner, der Navigator und der Ingenieur, waren nicht da – sie hatten ja frei. Dienst hatte die zweite Schicht. Der Kapitän allerdings war anwesend und saß an einem kleinen Tischchen am anderen Ende der Kabine. Er sah auf, lächelte freundlich und sagte: »Guten Abend, meine Herren. Sie wollen sich umsehen?«
    »Wollen wir«, gab Harry zurück. »Ich muß nur schnell meinen Fotoapparat holen. Ich darf hier doch fotografieren, oder?«
    »Selbstverständlich.«
    »Bin gleich wieder da.«
    Er rannte die Treppe hinunter, klopfte sich insgeheim anerkennend auf die Schulter, gleichzeitig aber waren seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Membury war er für eine Weile los, aber für die Suche nach den Juwelen blieb nicht viel Zeit.
    Als er sein Abteil betrat, befand sich einer der Stewards in der Kombüse, der andere im Speisesaal. Am liebsten hätte er abgewartet, bis beide servierten, denn dann konnte er darauf bauen, einige Minuten lang unbehelligt zu bleiben. Doch zum Warten reichte die Zeit nicht aus. Er mußte das Risiko eingehen, ertappt zu werden.
    Er zog Lady Oxenfords Tasche unter ihrem Sitz hervor. Fürs Handgepäck war sie eigentlich viel zu groß und zu schwer, aber wahrscheinlich trug sie die Tasche nicht selbst. Er legte sie auf den Sitz und öffnete sie. Verschlossen war sie nicht, und das war ein schlechtes Zeichen – selbst Lady Oxenford war wohl kaum so unbedarft, Juwelen von unschätzbarem Wert in einem unverschlossenen Gepäckstück liegenzulassen.
    Trotzdem durchsuchte er rasch den Inhalt der Tasche. Er fand Parfüm und Make-up, eine silberne Frisiergarnitur, einen kastanienbraunen Morgenmantel, ein Nachthemd, Pantöffelchen, pfirsichfar- bene Seidenunterwäsche, Strümpfe, einen Waschbeutel mit Zahnbürste und anderen üblichen Utensilien sowie ein Buch mit Blake-Gedichten – von Juwelen keine Spur. Harry fluchte innerlich. Er hatte große Hoffnungen darauf gesetzt, hier fündig zu werden, doch nun geriet seine Theorie ins Wanken.
    Die Suche hatte etwa zwanzig Sekunden in

Weitere Kostenlose Bücher