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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Anspruch genommen.
    Schnell schloß er den Koffer wieder und schob ihn unter den Sitz zurück.
    Oder hatte sie vielleicht ihren Mann gebeten, die Juwelen für die Dauer der Reise in seinem Gepäck unterzubringen?
    Er warf einen Blick auf die Tasche unter Lord Oxenfords Sitz. Die Stewards hatten noch immer alle Hände voll zu tun. Harry beschloß, sein Glück auf die Probe zu stellen.
    Er zog Oxenfords Handgepäck hervor, eine lederne Reisetasche mit Reißverschluß, an dessen Ende sich ein kleines Sicherheitsschloß befand. Für solche Zwecke trug Harry stets ein Federmesser bei sich:
    Er brach das Schloß auf und öffnete den Reißverschluß.
    Als er gerade den Inhalt durchwühlte, kam Davy, der kleinere der beiden Stewards, aus der Kombüse, in den Händen ein Tablett mit Drinks. Harry sah auf und lächelte. Davys Blick fiel auf die Tasche.
    Harry hielt den Atem an und wahrte sein gefrorenes Lächeln. Der Steward, der natürlich annahm, die Tasche sei Harrys eigene, ging weiter in den Speisesaal.
    Harry atmete auf. Er war ein wahrer Meister, wenn es um die Entkräftung eines Verdachts ging, dennoch starb er jedesmal wieder tausend Tode.
    Der Inhalt von Oxenfords Tasche entsprach dem des Koffers seiner Frau, allerdings unter männlichen Vorzeichen: Rasierzeug, Haaröl, gestreifter Pyjama, Flanellunterwäsche und eine NapoleonBiographie. Harry zog den Reißverschluß zu und brachte das Schloß wieder an. Oxenford würde merken, daß es aufgebrochen war, und sich wundem, wie das geschehen konnte. War er mißtrauisch, würde er nachprüfen, ob etwas fehlte. Da alles seine Ordnung hatte, würde er zu dem Schluß kommen, es sei schon defekt gewesen.
    Harry legte die Tasche an ihren Platz zurück.
    Er war zwar noch einmal davongekommen, der Delhi-Garnitur jedoch keinen Schritt näher.
    Daß die Kinder das Delhi-Ensemble mit sich herumtrugen, war zwar kaum anzunehmen, doch Harry, kühn geworden, entschloß sich, ihr Gepäck ebenfalls zu durchstöbern.
    War Lord Oxenford wirklich so schlau gewesen, den Schmuck seiner Frau im Gepäck der Kinder zu verstauen, so hätte er sich wahrscheinlich eher für Percy als für Margaret entschieden, denn Percy hätte mit Wonne bei der Verschwörung mitgespielt, während Margaret eher dazu neigte, sich ihrem Vater zu widersetzen.
    Harry griff nach Percys Segeltuchtasche und deponierte sie an derselben Stelle wie zuvor die des Vaters. Steward Davy, falls er noch einmal aufkreuzte, sollte sie für dieselbe Tasche halten wie zuvor.
    Percys Sachen waren derart ordentlich gepackt, daß Harry einen Eid darauf geschworen hätte, daß hier ein Dienstmädchen am Werk gewesen war. Ein fünfzehnjähriger Junge kam nie und nimmer auf die Idee, seinen Schlafanzug zusammenzufalten und in Seidenpapier einzuwickeln. Sein Necessaire enthielt eine neue Zahnbürste und eine noch nicht angebrochene Tube Zahnpasta. Außerdem stieß Harry auf ein Taschenschachspiel, einen kleinen Stapel Comic-Hefte und eine
    Packung Schokoladenkekse – die ihm, so vermutete Harry jedenfalls, von einer liebevollen Köchin oder einem Hausmädchen zugesteckt worden waren. Harry überprüfte das Schachkästchen, blätterte die Hefte durch und öffnete das Paket mit den Keksen. Juwelen fand er keine. Als er die Reisetasche wieder an ihrem Platz verstaute, spazierte ein Passagier auf dem Weg zur Toilette durchs Abteil. Harry ignorierte ihn einfach.
    Nein, Lady Oxenford hatte das Delhi-Ensemble bestimmt nicht in einem Land zurückgelassen, das binnen weniger Wochen besetzt werden konnte. Soweit er, Harry, es jedoch beurteilen konnte, trug sie den Schmuck weder am Körper, noch hatte sie ihn im Handgepäck. Befand er sich auch in Margarets Tasche nicht, dann mußte er in den aufgegebenen Koffern zu finden sein. Ich glaube, ich habe da eine harte Nuß zu knacken, dachte er. Kommt man während des Fluges überhaupt in den Laderaum hinein? Wenn nicht, muß ich die Oxenfords in New York womöglich bis in ihr Hotel verfolgen…
    Der Captain und Clive Membury wunderten sich bestimmt schon, warum er so lange brauchte, um seinen Fotoapparat zu holen.
    Er griff nach Margarets Tasche. Sie sah aus wie ein Geburtstagsgeschenk: ein kleines Köfferchen mit abgerundeten Ecken aus weichem, beigefarbenen Leder mit hübschen Messingbeschlägen. Kaum hatte er es geöffnet, stieg ihm der Duft ihres Parfums in die Nase – Tosca! Er fand ein kleingeblümtes Baumwollnachthemd und versuchte, sie sich darin vorzustellen: Es war viel zu mädchenhaft für

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