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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unserer Heimat vertrieben haben!« zischte er. Dann hob er die Stimme. »Wenn diese Leute mit uns reisen wollen, dann sollen sie erst einmal Manieren lernen.«
    »Jetzt langt‘s!« Eine neue Stimme mischte sich ein.
    Margaret ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die Stimme gehörte Mervyn Lovesey, dem Mann, der in Foynes zugestiegen war. Er hatte sich erhoben. Nicky und Davy, die beiden Stewards, standen da wie zu Salzsäulen erstarrt, und aus ihren Blicken sprach Angst. Lovesey durchquerte den Speisesaal und beugte sich unheilverkündend über den Tisch der Oxenfords: ein hochgewachsener Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren mit dichtem ergrauendem Haar, schwarzen Augenbrauen und Zügen wie gemeißelt. Ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war. Er trug einen teuren Anzug, sprach aber Dialekt. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Ansichten für sich behalten wollten«, sagte er ebenso gelassen wie drohend.
    »Das geht Sie einen feuchten…«, hob Vater an.
    »Selbstverständlich geht mich das etwas an«, unterbrach ihn Love- sey.
    Margaret bemerkte, daß Nicky hastig davoneilte. Wahrscheinlich holt er Hilfe vom Flugdeck, dachte sie.
    Lovesey fuhr fort: »Ihnen dürfte entgangen sein, daß Professor Hartmann der bedeutendste Physiker der Gegenwart ist.«
    »Interessiert mich nicht …«
    »Natürlich nicht. Aber mich. Und Ihre Ansichten stinken zum Himmel.«
    »Und ich lasse mir von niemandem den Mund verbieten«, gab Vater zurück und machte Anstalten, sich zu erheben.
    Lovesey legte ihm eine starke Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück. »Mit Leuten Ihres Schlags führen wir Krieg.«
    »Verschwinden Sie, ja?« meinte Vater schwach.
    »Ich verschwinde, sobald Sie den Mund halten.«
    »Ich werde den Flugkapitän rufen lassen …«
    »Nicht nötig«, ließ sich eine neue Stimme vernehmen. Captain Baker erschien am Orte des Geschehens. Seine Uniformmütze verlieh ihm stille Autorität. »Ich bin schon da. Mr. Lovesey, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie an Ihren Platz zurückkehren würden.«
    »Gut, ich setz‘ mich wieder hin«, erwiderte Lovesey. »Aber ich kann nicht schweigen, wenn ein betrunkener Flegel von dem bedeutendsten Wissenschaftler Europas verlangt, er solle leiser sprechen, und ihn einen Judenbengel schimpft.«
    »Bitte, Mr. Lovesey.«
    Lovesey kehrte zu seinem Platz zurück.
    Der Flugkapitän wandte sich an Vater. »Lord Oxenford, Sie wurden vielleicht mißverstanden. Ich bin überzeugt, Sie würden einen Ausdruck, wie Mr. Lovesey ihn soeben erwähnt hat, nie auf einen der Mitreisenden anwenden.«
    Margaret betete insgeheim, Vater möge den Ausweg nützen, den der Captain ihm bot, doch zu ihrem größten Entsetzen wurde er nur noch aggressiver.
    »Ich habe ihn einen Judenbengel genannt, weil er einer ist!« polterte er.
    »Vater, hör auf!« rief sie.
    »Ich muß Sie ersuchen, solche Ausdrücke nicht mehr zu benutzen, solange Sie an Bord meines Flugzeugs sind«, sagte der Cap- tain.
    Vater erwiderte hämisch: »Schämt er sich denn etwa, ein Judenbengel zu sein?«
    Margaret spürte, daß Captain Baker langsam die Geduld verlor. »Dies ist ein amerikanisches Flugzeug, Sir, und hier herrschen amerikanische Sitten. Ich fordere Sie auf, Ihre Mitpassagiere nicht mehr zu beleidigen, und mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Sie bei unserer nächsten Zwischenlandung von der örtlichen Polizei verhaften und hinter Gitter bringen lassen kann. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß die Fluggesellschaft in solchen Fällen, so selten sie auch vorkommen, stets Anzeige erstattet.«
    Der Hinweis auf eine mögliche Verhaftung verfehlte ihre Wirkung auf Vater nicht. Er schwieg – zumindest für den Augenblick. Margaret fühlte sich zutiefst gedemütigt. Obwohl sie versucht hatte, ihrem
    Vater Einhalt zu gebieten und lauthals gegen sein Benehmen protestierte, schämte sie sich in Grund und Boden. Sein flegelhafter Auftritt warf auch auf sie ein schlechtes Licht, denn schließlich war sie seine Tochter. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, am Ende ihrer Kraft.
    Sie hörte Vater sagen: »Ich werde mich in mein Abteil zurückziehen.«
    Sie blickte auf. Vater erhob sich und wandte sich an Mutter. »Meine Liebe?«
    Mutter erhob sich, während Vater ihren Stuhl hielt. Margaret hatte das Gefühl, daß alle Blicke ihr folgten.
    Plötzlich erschien Harry auf der Bildfläche. Er ließ seine Hände behutsam auf der Rückenlehne von Margarets Stuhl ruhen. »Lady Margaret«, sagte er mit einer leichten

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