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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schüchternen Menschen sah Mutter überhaupt nicht ähnlich, und schon gar nicht, wenn sie, wie Mr. Membury, unzweifelhaft dem Mittelstand angehörten. »Nun aber heraus mit der Sprache«, sagte Margaret. »Was willst du damit sagen?«
    »Ich möchte nicht, daß du dich den ganzen Flug über mit diesem Mr. Vandenpost unterhältst.«
    Genau das aber hatte Margaret im Sinn. »Aber warum denn nicht?« fragte sie.
    »Nun ja, er ist, wie du weißt, in deinem Alter, und du willst ihm ja nicht irgendwelche Flausen in den Kopf setzen.«
    »Ich würde ihm schon ganz gerne Flausen in den Kopf setzen. Schließlich sieht er doch fabelhaft aus.«
    »Nein, Liebes«, gab sie bestimmt zurück. »Irgend etwas an ihm ist nicht ganz comme il faut.« Damit wollte sie zum Ausdruck bringen, daß er nicht standesgemäß war. In dieser Hinsicht unterschied sich Mutter um keinen Deut von anderen Ausländern, die in die Aristokratie hineingeheiratet hatten und in ihrem Snobismus mittlerweile selbst die Engländer übertrafen.
    Harrys Auftreten als reicher junger Amerikaner hatte sie nicht völlig überzeugt. Ihr Gespür für gesellschaftliche Nuancen war unfehlbar. »Aber du hast doch selbst gesagt, daß du die Vandenposts aus Philadelphia kennst«, meinte Margaret.
    »Schon, schon, aber je mehr ich darüber nachdenke, um so sicherer bin ich, daß er nicht zu dieser Familie gehört.«
    »Dann werde ich ihm vielleicht als Strafe für deinen Snobismus meine Gunst schenken.«
    »Mit Snobismus hat das nichts zu tun, Liebes. Hier geht es um die Abstammung. Snobismus ist etwas für gewöhnliche Leute.« Margaret resignierte. Der Schutzwall aus Überheblichkeit, den Mutter um sich herum errichtet hatte, war undurchdringlich. Mit Vernunft kam man nicht gegen sie an. Aber Margaret hatte nicht die geringste Absicht, ihr zu gehorchen. Dafür fand sie Harry viel zu interessant.
    »Was dieser Mr. Membury wohl ist? Sein rotes Jackett gefällt mir, aber wie ein erfahrener Transatlantikreisender sieht er auch wieder nicht aus.«
    »Er ist vermutlich Beamter oder höherer Angestellter«, sagte Mutter.
    Genauso sieht er aus, dachte Margaret. Mutter hat für solche Dinge wirklich ein Gespür.
    Vater meinte: »Wahrscheinlich arbeitet er für die Fluggesellschaft.«
    »Ich würde eher sagen, er arbeitet im öffentlichen Dienst«, meinte Mutter.
    Die Stewards trugen den Hauptgang auf. Mutter ließ das Filet Mignon zurückgehen. »Ich esse überhaupt nichts Gekochtes«, sagte sie zu Nicky. »Bringen Sie mir doch Sellerie und Kaviar.«
    Vom Nebentisch hörte Margaret Baron Gabons Stimme: »Wir müssen unser eigenes Land haben – eine andere Lösung gibt es nicht!«
    Carl Hartmann erwiderte: »Aber Sie haben doch zugegeben, daß es ein Militärstaat sein muß …«
    »Zur Verteidigung gegen feindliche Nachbarn!«
    »Sie geben also zu, daß dort Juden begünstigt und Araber diskriminiert werden müßten! Aber die Verbindung von Militarismus und Rassismus führt zum Faschismus, den Sie angeblich bekämpfen!«
    »Psst, leise bitte«, sagte Gabon, worauf die beiden in gedämpftem Ton weiterredeten.
    Unter normalen Umständen hätte Margaret sich für das Streitgespräch interessiert. Sie hatte bereits mit Ian über dieses Thema diskutiert. Unter den Sozialisten herrschte in der Palästinafrage Uneinigkeit. Einige vertraten die Ansicht, hier biete sich eine Chance, den idealen Staat zu errichten. Andere dagegen meinten, daß das Land den dort Ansässigen gehöre und den Juden genauso wenig »gegeben« werden könne wie Irland, Hongkong oder Texas. Daß sich unter den Sozialisten sehr viele Juden befanden, machte die Sache nur noch verzwickter.
    Doch im Augenblick wünschte Margaret Oxenford sich nichts sehnlicher, als daß Gabon und Hartmann die Stimmen senken würden: Das war nichts für Vaters Ohren.
    Ihr heimlicher Wunsch wurde nicht erhört. Die beiden Herren debattierten über ein Thema, das ihnen am Herzen lag. Hartmann sagte laut und deutlich: »Ich will aber nicht in einem rassistischen Staat leben!«
    Vater sagte, so daß jeder es hören konnte: »Ich wußte gar nicht, daß wir mit einer Judenbande unterwegs sind.«
    »Oi wei«, verkündete Percy.
    Margaret sah ihren Vater bestürzt an. Es hatte eine Zeit gegeben, da seine politische Philosophie einen gewissen Sinn ergab: als gesunde und kräftige Männer zu Millionen arbeitslos wurden und nicht mehr genug zu beißen hatten. Damals erforderte es Mut, in aller Öffentlichkeit zu sagen, daß Kapitalismus und

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