Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
nahe der Meeresoberfläche. Er »jagte den Wind« und suchte eine Höhe, auf der der Westwind weniger heftig blies.
    Eddie machte sich Sorgen, denn er wußte, daß die Treibstoffreserven knapp bemessen waren. Er setzte sich an seinen Arbeitsplatz und begann mit der Berechnung der Entfernung, die das Flugzeug mit dem verbleibenden Treibstoff zurücklegen konnte. Das Wetter war noch etwas schlechter als vorhergesagt, und die Motoren hatten gewiß mehr Treibstoff als geplant verbraucht. Reichte es nicht mehr aus, um sie nach Neufundland zu bringen, mußten sie vor Erreichen des »point of no return« umkehren.
    Doch was würde dann mit Carol-Ann geschehen?
    Was immer man von Tom Luther halten mochte: Von der sorgfältigen Planung eines Coups verstand er etwas. Eine mögliche Verspätung des Clippers hatte er bestimmt einkalkuliert. Er mußte über eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit seinen Kumpanen verfügen, um ihnen den Zeitpunkt des Treffens bestätigen oder gegebenenfalls eine Änderung mitteilen zu können.
    Doch wenn wir umkehren müssen, bleibt Carol-Ann mindestens vierundzwanzig Stunden länger in den Händen ihrer Kidnapper, dachte Eddie.
    Er hatte den Großteil seiner dienstfreien Zeit im vorderen Abteil zugebracht, war unruhig auf seinem Sitz hin- und hergerutscht und hatte aus dem Fenster ins Leere gestarrt. Da er von vornherein wußte, daß es sinnlos war, hatte er gar nicht erst versucht zu schlafen. Unablässig hatte ihm seine Phantasie quälende Bilder von Carol-Ann vorgegaukelt: Carol-Ann tränenüberströmt, gefesselt oder geschunden; eine verängstigte, flehende, völlig aufgelöste und verzweifelte Carol-Ann. Alle fünf Minuten hätte er am liebsten mit der Faust den Flugzeugrumpf bearbeitet, und immer wieder hatte er den Impuls bekämpfen müssen, die Treppe hinaufzustürmen und Mickey Finn, den Mann, der jetzt seine Stelle vertrat, nach dem Treibstoffverbrauch zu fragen.
    Und nur aus reiner Zerstreutheit hatte er sich gehenlassen und Tom Luther im Speisesaal so zugesetzt. Inzwischen hielt er sein Verhalten schlichtweg für dumm. Welches Pech auch, daß er ausgerechnet mit Luther am gleichen Tisch sitzen mußte! Jack Ashford, der Navigator, hatte ihm hinterher – völlig zu Recht – die Leviten gelesen. Er hatte sich wie ein Esel aufgeführt. Jack wußte jetzt, daß zwischen Eddie und Luther etwas vorgefallen sein mußte. Eddie hatte sich geweigert, Jack in die Einzelheiten einzuweihen, und damit war die Sache – vorerst – erledigt gewesen. Er hatte sich geschworen, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Der leiseste Verdacht, sein Ingenieur könne erpreßt werden, würde Captain Baker zum sofortigen Abbruch des Flugs veranlassen und Eddie jeder Chance berauben, Carol-Ann helfen zu können. Auch diese Gefahr mußte er jetzt einkalkulieren.
    Eddies Benehmen gegenüber Tom Luther war infolge der Aufregung um die nur mit knapper Not vermiedene handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Mervyn Lovesey und Lord Oxenford während der zweiten Essensschicht in Vergessenheit geraten. Eddie hatte grübelnd im vorderen Abteil gesessen und von alldem nichts mitbekommen, aber die beiden Stewards hatten ihm kurz darauf Bericht erstattet.
    Eddie hielt Oxenford für einen Rüpel, der einmal gehörig zusammengestaucht werden mußte – was Captain Baker ja auch getan hatte. Percy, der Junge, tat ihm allerdings leid – es war schlimm, einen solchen Kerl zum Vater zu haben!
    Im »Speisesaal« dinierte inzwischen die letzte Gruppe. In ein paar Minuten würde Ruhe eintreten. Die Älteren unter den Passagieren würden zu Bett gehen, die Mehrzahl jedoch, zu aufgeregt oder zu nervös zum Schlafen, würde noch ein bis zwei Stunden aufbleiben und sich durchschütteln lassen, um schließlich einer nach dem anderen, von der inneren Uhr überwältigt, ebenfalls zu Bett zu gehen. Ein paar Unermüdliche pflegten sich normalerweise im Salon zum Kartenspielen zusammenzufinden; auch pflegten sie zu trinken, doch handelte es sich dabei um ein ruhiges, die ganze Nacht dauerndes, bedächtiges Trinken, das selten zu Problemen führte.
    Eddie machte sich besorgt daran, den Treibstoffverbrauch des Flugzeugs auf der Howgozit-Kurve einzutragen. Die rote Linie, die den tatsächlichen Verbrauch anzeigte, lag kontinuierlich über seiner mit Bleistift eingezeichneten Prognose. Der Unterschied war allerdings aufgrund der Wetterlage größer als erwartet.
    Die Berechnung der effektiven Reichweite des Flugzeugs, die auf dem verbliebenen

Weitere Kostenlose Bücher