Nacht über den Wassern
Verbeugung. Sie stand auf, und er zog den Stuhl fort. Sie war ihm für diese Geste der Unterstützung unendlich dankbar.
Mutter entfernte sich mit ausdruckslosem Gesicht und hocherhobenen Hauptes. Vater folgte ihr.
Harry bot Margaret den Arm, eine Kleinigkeit, die ihr ungeheuer viel bedeutete. Obwohl sie feuerrot anlief, hatte sie doch das Gefühl, den Raum mit Anstand verlassen zu können.
Als sie das Abteil betrat, setzte hinter ihr wieder die Unterhaltung ein.
Harry geleitete sie zu ihrem Sitz,
»Das war unglaublich lieb von lhnen«, sagte sie bewegt. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Ich bekam den Streit von hier aus mit«, sagte er ruhig. »Ich konnte mir schon denken, wie schlecht Sie sich fühlen mußten.«
»In meinem ganzen Leben bin ich nie so gedemütigt worden«, sagte sie niedergeschlagen.
Doch Vater hatte sein Pulver noch immer nicht verschossen. »Das wird ihnen eines Tages noch leid tun, diesen verdammten Idioten!« sagte er. Mutter saß in ihrer Ecke und blickte ihn ausdruckslos an. »Sie werden diesen Krieg verlieren, darauf könnt ihr Gift nehmen!«
»Hör auf, Vater, bitte«, sagte Margaret. Glücklicherweise wurde nur Harry Zeuge der neuerlichen Tirade: Mr. Membury war verschwunden.
Vater schenkte ihr keine Beachtung. »Die deutsche Armee wird England wie eine Dampfwalze überrollen!« sagte er. »Und was, glaubt ihr, passiert dann? Hitler wird natürlich eine faschistische Regierung einsetzen.«
In seinen Augen blitzte es plötzlich merkwürdig auf. Um Himmels willen, er sieht aus wie ein Verrückter, dachte Margaret. Mein Vater wird wahnsinnig! Er senkte die Stimme, und auf seinem Gesicht machte sich ein verschlagener Ausdruck breit. »Eine englische faschistische Regierung natürlich. Und dann braucht er einen englischen Faschisten als Führer!«
»O mein Gott«, sagte Margaret. Sie wußte, was er dachte, und war der Verzweiflung nahe.
Vater glaubte, Hitler würde ihn zum Diktator von Großbritannien ernennen!
Er dachte, nach der Eroberung Großbritanniens würde Hitler ihn aus dem Exil zurückrufen, um ihn zum Führer einer Marionettenregierung zu machen.
»Und wenn es in London erst einen faschistischen Premierminister gibt – dann werden auch diese Herren nach einer anderen Pfeife tanzen!« schloß Vater triumphierend, als hätte er gerade ein Streitgespräch erfolgreich beendet.
Harry starrte Vater verblüfft an. »Glauben Sie etwa … rechnen Sie etwa damit, daß Hitler Sie darum bitten würde…?«
»Wer weiß?« meinte Vater. »Es muß schon jemand sein, dem nicht der Makel einer besiegten Regierung anhaftet. Wenn man mich ruft … die Pflicht gegenüber meinem Lande … ein Neubeginn … ohne Vergeltungsmaßnahmen …«
Harry war viel zu schockiert, um darauf zu antworten.
Margaret war verzweifelt. Sie mußte Vater entkommen, konnte es einfach nicht mehr länger aushalten. Ihr schauderte bei dem Gedanken an das unrühmliche Ende ihres letzten Fluchtversuchs, aber sie durfte sich durch einen Fehlschlag nicht entmutigen lassen. Sie mußte es noch einmal versuchen.
Diesmal werde ich es anders machen, dachte sie. Ich werde mir an Elizabeth ein Beispiel nehmen und alles sorgfältig überdenken und vorausplanen. Ich brauche Geld, Freunde und einen Platz zum Schlafen. Diesmal wird es klappen, dafür sorge ich…
Percy, der den größten Teil des Dramas verpaßt hatte, kam von der Herrentoilette zurück. Es sah jedoch so aus, als habe er ein Drama anderer Art erlebt: Sein Gesicht war gerötet, und er wirkte erregt. »Ihr werdet es nicht für möglich halten!« sagte er. »Ich habe gerade Mr. Membury auf der Toilette gesehen … Seine Jacke stand offen, und er stopfte sich das Hemd in die Hose … und unter der Jacke trägt er ein Schulterhalfter – und darin steckt eine Pistole.«
Der Clipper näherte sich dem »point of no return«, dem Punkt, von dem aus eine Umkehr nicht mehr möglich war.
Eddie Deakin nahm um zweiundzwanzig Uhr britischer Zeit zerstreut, nervös und unausgeruht seinen Dienst wieder auf. Die Sonne war inzwischen vorausgeeilt, und tiefe Dunkelheit umgab die Maschine. Auch das Wetter hatte sich geändert: Regenschwaden peitschten gegen die Fenster, die Sterne verbargen sich hinter einer Wolkendecke. Wechselhafte Winde schlugen und zerrten respektlos an dem riesigen Flugzeug und rüttelten die Passagiere durch.
Das Wetter war in niedrigen Flughöhen generell schlechter als in größeren; dennoch steuerte Captain Baker einen Kurs
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