Nacht über den Wassern
Treibstoff basierte, bereitete ihm noch mehr Kopfzerbrechen. Als er die Kalkulation, die nach den Sicherheitsbestimmungen nur von drei funktionierenden Motoren ausging, beendet hatte, stellte sich heraus, daß der Treibstoff nicht einmal mehr bis nach Neufundland reichte.
Er hätte sofort den Captain informieren müssen, unterließ es jedoch.
Das Defizit war gering: Bei vier funktionierenden Motoren reichte der Sprit. Außerdem konnten sich die Verhältnisse im Lauf der nächsten Stunden durchaus noch verändern. Vielleicht war ja der Wind gar nicht so stark, wie die Voraussagen behaupteten, so daß der Treibstoffverbrauch unter den Berechnungen blieb. Und wenn alles schiefging, konnten sie immer noch ihre Flugroute ändern, mitten in den Sturm hineinfliegen und somit die Entfernung verkürzen. Leidtragende wären allerdings die Passagiere: Sie würden kräftig durchgerüttelt werden.
Zu seiner Linken hielt Ben Thompson, der Funker, sein kahles Haupt über die Konsole gebeugt und transkribierte eine Morsebotschaft. In der Hoffnung, es könne sich um eine günstige Wettervorhersage handeln, blickte ihm Eddie über die Schulter.
Die Nachricht war ebenso erstaunlich wie rätselhaft.
Sie kam vom FBI, war an einen Passagier namens Ollis Field gerichtet und lautete: DAS BUREAU HAT MITTEILUNG ERHALTEN, DASS SICH MÖGLICHERWEISE KOMPLIZEN BESAGTER VERBRECHER AN BORD IHRER MASCHINE BEFINDEN. BESONDERE VORSICHT IN BEZUG AUF GEFANGENEN WALTEN LASSEN.
Was sollte das heißen? Hatte es etwas mit der Entführung Carol- Anns zu tun? Eddie schwirrte der Kopf.
Ben riß die Seite von seinem Block und sagte: »Captain! Das schauen Sie sich am besten selbst an.«
Von der Dringlichkeit in der Stimme des Funkers alarmiert, blickte auch Jack Ashford vom Kartentisch auf.
Eddie nahm Ben die Botschaft ab, zeigte sie kurz Jack und reichte sie dann an den Captain weiter, der im hinteren Teil der Kabine am Konferenztisch vor einem Tablett saß und Steak mit Kartoffelpüree verzehrte.
Die Miene des Captain verdüsterte sich bei der Lektüre. »Das gefällt mir überhaupt nicht«, sagte er. »Ollis Field muß FBI-Agent sein.«
»Ist er unter den Passagieren?« wollte Eddie wissen.
»Ja. Er kam mir gleich irgendwie komisch vor. Ein blasser, langweilig wirkender Zeitgenosse, alles andere als der typische Clipper-
Passagier. Während der Zwischenlandung in Foynes ist er an Bord geblieben.«
Field war Eddie bisher nicht aufgefallen, dem Navigator dagegen schon. »Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen«, meinte Jack und kratzte sein blaurasiertes Kinn. »Der Glatzkopf. Er hat einen jüngeren Mann bei sich, der ziemlich auffällig gekleidet ist. Ein merkwürdiges Paar.«
Der Captain sagte: »Der Kleine dürfte dann der Gefangene sein. Ich glaube, er heißt Frank Gordon.«
Eddie kombinierte schnell. »Deswegen sind die beiden in Foynes auch an Bord geblieben: Der FBI-Mann wollte ihm keine Möglichkeit zur Flucht geben.«
Der Captain nickte grimmig. »Gordon wird offenbar von England ausgeliefert – und für Ladendiebe gibt‘s keine Ausweisungsbefehle. Der Kerl ist bestimmt ein Schwerverbrecher. Und wird einfach in mein Flugzeug verfrachtet, ohne daß man mir ein Sterbenswörtchen davon sagt.«
Ben, der Funker, meinte: »Ich frage mich nur, was er ausgefressen hat.«
»Frank Gordon«, sinnierte Jack. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor … Augenblick. Ja, ich geh‘ jede Wette ein, daß das Frankie Gordino ist!«
Eddie konnte sich daran erinnern, daß die Zeitungen über Gor- dino berichtet hatten. Er war der Vollstrecker einer Bande aus New England. Bei dem Verbrechen, für das er zur Verantwortung gezogen werden sollte, ging es um den Mord an einem Nachtklubbesitzer in Boston, der sich geweigert hatte, Schutzgelder zu zahlen. Gordino war in den Klub gestürmt, hatte den Besitzer mit einem Bauchschuß niedergestreckt, dessen Freundin vergewaltigt und zum Schluß den Klub angezündet. Der Mann erlag seinen Verletzungen, aber die Frau konnte sich vor den Flammen in Sicherheit bringen und Gordino anhand von Fahndungsfotos identifizieren.
»Gleich werden wir genau wissen, ob er es ist«, sagte Baker. »Eddie, seien Sie so gut und bitten diesen Ollis Field herauf.«
»Klar.« Eddie setzte die Mütze auf, streifte sich die Uniformjacke über und ging die Treppe hinunter. Er dachte über die neue Entwicklung nach. Er war sicher, daß es zwischen Frankie Gordino und den Leuten, die Carol-Ann in ihrer Gewalt hatten, eine Verbindung
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