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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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könne Percy nicht länger an der Kandare haben, machte ihr sogar ein wenig zu schaffen. Vater war der einzige, der Percy bremsen konnte. Was wird der Junge noch alles anstellen, wenn niemand ihn mehr zurückhält? dachte sie.
    »Komm schon«, sagte Percy. »Geh‘n wir jetzt gleich. Sie sind in Abteil drei – ich hab‘ nachgesehen.«
    Margaret zögerte noch immer. Alles in ihr sträubte sich bei dem Gedanken, auf die Männer, die Vater derart beleidigt hatte, zuzugehen. Vielleicht riß es nur alte Wunden wieder auf? Vielleicht zogen sie es vor, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen? Oder aber sie fragten sich, wie viele Passagiere insgeheim mit Vater übereinstimmten. War es da nicht wichtiger, sich eindeutig gegen rassistische Vorurteile zu verwahren?
    »Ja, ich gehe mit…« Margarets Entscheidung war gefallen. Oft genug bin ich feige gewesen – hinterher habe ich es dann meistens bereut… Sie stand auf und hielt sich an der Sessellehne fest, denn das Flugzeug bockte alle paar Sekunden. »In Ordnung«, sagte sie. »Geh‘n wir uns entschuldigen.«
    Sie zitterte ein wenig, weil sie eine ungeheuerliche Szene befürchtete, aber das Vibrieren der Maschine vertuschte ihre Unsicherheit. Sie ging voran.
    In Abteil drei saßen Gabon und Hartmann auf der Backbordseite einander gegenüber. Hartmann war in seine Lektüre vertieft, den langen hageren Körper vornübergebeugt, den kurz geschorenen Kopf gesenkt, die Hakennase auf ein Papier mit mathematischen Formeln gerichtet. Gabon wirkte untätig, ja beinahe gelangweilt. Er war der erste, der sie erblickte. Als Margaret neben ihm stehenblieb und sich an der Rückenlehne seines Sitzes festhielt, versteifte er sich merklich; sein Blick wurde feindselig.
    Margaret sagte hastig: »Wir sind gekommen, um uns zu entschuldigen.«
    »Ihre Unverfrorenheit überrascht mich«, erwiderte Gabon. Er sprach perfektes Englisch mit kaum wahrnehmbarem französischem Akzent. Seine Reaktion entsprach nicht der, die Margaret erhofft hatte, doch sie ließ sich nicht beirren. »Es tut mir ganz schrecklich leid, was geschehen ist, und meinem Bruder auch. Wie ich schon sagte, hege ich große Bewunderung für Professor Hartmann.«
    Hartmann hatte den Blick von seinem Buch erhoben und nickte nun zustimmend, Gabon jedoch ließ sich nicht so leicht besänftigen. »Leute wie Sie haben gut reden«, sagte er. Margaret starrte auf den Boden und wünschte, sie wäre an ihrem Platz geblieben. »In Deutschland wimmelt es nur so von höflichen, wohlhabenden Leuten, denen das, was dort geschieht, ganz schrecklich leid tut«, fuhr Gabon fort. »Aber was tun sie dagegen? Was tun Sie?«
    Margaret spürte, daß sie puterrot anlief. Sie wußte nicht, was sie tun oder sagen sollte.
    »Psst, Philippe«, sagte Hartmann sanft. »Siehst du denn nicht, wie jung sie sind?« Er betrachtete Margaret. »Ich nehme Ihre Entschuldigung an, vielen Dank.«
    »Du liebe Güte«, murmelte sie. »Jetzt habe ich wohl alles nur noch schlimmer gemacht?«
    »Ganz und gar nicht«, sagte Hartmann. »Sie haben es ein wenig erträglicher gemacht, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Mein Freund, der Baron, ist immer noch sehr aufgebracht, aber ich denke, er wird die Sache am Ende genauso sehen wie ich.«
    »Dann gehen wir jetzt wohl besser«, meinte Margaret zerknirscht.
    Hartmann nickte, und sie wandte sich zum Gehen. Percy murmelte: »Es tut mir fürchterlich leid.« Dann folgte er ihr hinaus.
    Sie stolperten in ihr Abteil zurück. Davy baute gerade die Betten. Harry war verschwunden, vermutlich in den Waschraum. Margaret beschloß, sich ebenfalls bettfertig zu machen. Sie griff nach ihrem
    Köfferchen und machte sich auf den Weg zum Damenwaschraum, den Mutter gerade verließ. Sie sah in ihrem kastanienbraunen Morgenmantel umwerfend aus. »Gute Nacht, Liebes«, sagte sie. Margaret ging wortlos an ihr vorbei. Der Waschraum war überfüllt. Margaret schlüpfte rasch in ihr Baumwollnachthemd und den Frottierbademantel. Verglichen mit den farbenfrohen und duftigen Seidenkreationen der anderen Frauen wirkte ihre Nachtkleidung eher armselig; sie achtete aber kaum darauf. Die Entschuldigung hatte ihr nun doch keine Erleichterung verschafft. Baron Gabon hatte mit seiner Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen. Man machte es sich wirklich leicht, wenn man sich nur entschuldigte, den Worten aber keine Taten folgen ließ.
    Als sie ins Abteil zurückkam, waren die Eltern bereits hinter zugezogenen Vorhängen verschwunden, und aus Vaters Koje

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