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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ertönte gedämpftes Schnarchen. Ihr eigenes Bett war noch nicht hergerichtet, so daß sie noch ein Weilchen im Salon warten mußte. Sie wußte ganz genau, daß es nur einen Ausweg aus ihrem Dilemma gab. Sie mußte ihre Eltern verlassen und auf eigenen Füßen stehen. Dazu war sie so wild entschlossen wie noch nie – doch der Lösung der damit verbundenen Probleme – Geld, Arbeit und Unterkunft – war sie noch keinen Schritt näher gekommen.
    Die attraktive Mrs. Lenehan, die in Foynes zugestiegen war, kam herein und setzte sich neben sie. Sie trug einen leuchtendblauen Morgenmantel über einem schwarzen Neglige. »Eigentlich wollte ich mir ja einen Brandy genehmigen«, meinte sie, »aber die Stewards haben anscheinend alle Hände voll zu tun.« Ihre Enttäuschung schien sich in Grenzen zu halten. Mit einer ausladenden Geste schloß sie sämtliche Passagiere ein: »Das ist ja wie eine Pyjama-Party, ein mitternächtliches Gelage im Schlafsaal – alle rennen en deshabille herum. Was meinen Sie?«
    Margaret kannte weder Pyjama-Partys noch Schlafsäle, daher begnügte sie sich mit dem Kommentar: »Sehr ungewohnt. Es scheint uns alle in eine einzige große Familie zu verwandeln.«
    Mrs. Lenehan legte den Sicherheitsgurt an; sie hatte offensichtlich Lust auf einen Plausch. »Ich habe fast den Eindruck, daß man im
    Nachtgewand kaum förmlich sein kann. Sogar Frankie Gordino sieht in seinem roten Schlafanzug ganz niedlich aus, nicht wahr?« Margaret wußte zunächst nicht, um wen es ging, doch dann fiel ihr ein, daß Percy Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen einem FBI- Agenten und dem Flugkapitän geworden war. »Ist das der Gefangene?«
    »Ja.«
    »Haben Sie denn gar keine Angst vor ihm?«
    »Eigentlich nicht. Mir wird er schon nichts antun.«
    »Die Leute erzählen sich aber, er sei ein Mörder oder noch etwas Schlimmeres.«
    »In den Slums wird es immer Verbrechen geben. Wenn sie Gor- dino entfernen, übernimmt eben ein anderer das Morden. Ich würde ihn dort lassen. Illegale Glücksspiele und Prostitution gab es schon, als Gott noch in der Wiege lag, und wenn es schon Kriminalität geben muß, dann kann sie meinetwegen auch organisiert sein.«
    Das klingt ganz schön provokativ, dachte Margaret. Es muß an der Atmosphäre hier im Flugzeug liegen, daß die Leute plötzlich kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Und in gemischter Gesellschaft hätte Mrs. Lenehan sich wohl kaum so geäußert. Was immer der Grund dafür sein mochte, Frauen sind immer realistischer, wenn keine Männer dabeisind. Margaret war fasziniert. »Wäre es denn nicht besser, wenn das Verbrechen wenigstens unorganisiert bliebe?« wollte sie wissen.
    »Auf keinen Fall. Solange es organisiert ist, breitet es sich nicht aus. Jede Gang hat ihr eigenes Territorium, auf das sie sich beschränkt. Auf diese Weise murksen sie niemanden auf der Fifth Avenue ab und fordern vom Harvard Club keine Bestechungsgelder. Warum sie also nicht gleich in Ruhe lassen?«
    Das konnte Margaret nicht unwidersprochen lassen. »Und was ist mit den armen Leuten, die ihr Geld beim Glücksspiel verjubeln? Und die unglücklichen Mädchen, die ihre Gesundheit ruinieren?«
    »Nicht, daß Sie denken, sie wären mir völlig gleichgültig«, erwiderte Mrs. Lenehan. Margaret sah sie scharf an und fragte sich, ob sie das alles ernst meinte. »Hören Sie«, fuhr Nancy fort. »Ich mache
    Schuhe.« Margarets Überraschung maßte ihr anzumerken sein, denn Mrs. Lenehan fügte hinzu: »Ja, damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich besitze eine Schuhfabrik. Meine Herrenschuhe sind billig, und sie halten fünf oder zehn Jahre lang. Man kann natürlich noch billigere Schuhe kaufen, aber die taugen nichts – die Sohlen sind aus Pappe und halten gerade mal zehn Tage. Sie werden es kaum für möglich halten, aber es gibt tatsächlich Leute, die diese Pappschuhe kaufen! Also, meiner Meinung nach genüge ich meiner Pflicht vollkommen, indem ich gute Schuhe herstelle. Daß es Leute gibt, die so dumm sind, miserable Schuhe zu kaufen, kann ich nicht ändern. Und wenn sie so dumm sind, daß sie ihr Geld für Glücksspiele ausgeben, obwohl sie sich nicht einmal ein Steak zum Abendessen leisten können, dann ist das auch nicht mein Problem.«
    »Sind Sie selbst jemals arm gewesen?« fragte Margaret.
    Mrs. Lenehan lachte. »Kluge Frage. Nein, war ich nie. Ich sollte also vielleicht nicht so große Töne spucken. Mein Großvater hat noch Schuhe in Handarbeit hergestellt. Mein Vater baute dann die

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