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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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bin.« Unvermittelt versetzte er Luther einen heftigen Tritt gegen die Beine, der ihn zu Boden stürzen ließ – und er fühlte sich in diesem Augenblick wahrhaftig wie ein Verrückter. »Siehst du dieses Fenster hier, du Scheißkerl?« Eddie griff nach der Jalousie und riß sie aus den Befestigungen. »Ich bin verrückt genug, um dich aus diesem Scheißfenster hier zu schmeißen, so verrückt bin ich!« Mit einem Satz sprang er auf den Waschtisch und trat gegen die Scheibe. Obwohl er robuste Stiefel trug, gab das starke, einen halben Zentimeter dicke Plexiglas nicht nach. Noch einmal trat er zu, fester, und diesmal bekam die Scheibe einen Sprung. Ein weiterer Tritt gab ihr den Rest. Glasscherben schwirrten durch den Raum. Das Flugzeug flog mit einer Geschwindigkeit von 125 Meilen pro Stunde, und eisiger Wind und kalter Regen fegten wie ein Wirbelsturm herein.
    Von panischer Angst ergriffen, versuchte Luther sich aufzurappeln, doch Eddie landete mit einem Satz wieder auf dem Boden und hinderte ihn an der Flucht. Er erwischte Luther, noch ehe dieser sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und drückte ihn gegen die Wand. Seine Wut verlieh ihm die Kraft, die erforderlich war, um im Kampf mit seinem ungefähr gleich starken Widersacher die Oberhand zu behalten. Er packte Luther bei den Aufschlägen und schob ihn, Kopf voran, aus dem Fenster.
    Luther brüllte.
    Das Getose des Windes übertönte sein Schreien.
    Eddie riß Luther zurück und brüllte ihm ins Ohr: »Ich schmeiß‘ dich da raus, da kannst du Gift drauf nehmen!« Wieder drückte er den Kopf seines Gegners aus dem Fenster. Dann wuchtete er Luther hoch.
    Wäre Luther nicht in Panik geraten, so hätte er sich losreißen können. Doch der Mann hatte die Kontrolle verloren und war Eddie hilflos ausgeliefert. Er brüllte wieder, und Eddie konnte gerade eben noch die Worte »Ja, ja, ich tu‘s, ich tu‘s ja, lassen Sie mich los, lassen Sie mich endlich los!« verstehen.
    Eddie verspürte den starken Drang, Luther tatsächlich aus dem Fenster zu werfen. Doch dann merkte er, daß er wirklich drauf und dran war, die Kontrolle zu verlieren. Du willst Luther nicht umbringen, sondern ihn nur in Todesangst versetzen, mahnte er sich. Es reicht jetzt. Er setzte Luther ab und löste seinen Griff.
    Luther stürmte zur Tür.
    Eddie ließ ihn laufen. Die Rolle des Verrückten ist mir ganz gut geglückt, dachte Eddie. Aber er wußte auch, daß er sich in Wirklichkeit kaum verstellt hatte. Er lehnte sich gegen den Waschtisch und schnappte nach Luft. Die wahnsinnige Wut verflog ebenso schnell, wie sie gekommen war. Er war innerlich ganz ruhig, wenngleich ein wenig entsetzt über seine Gewalttätigkeit; fast kam es ihm vor, als habe nicht er selbst, sondern ein Fremder an seiner Statt gehandelt.
    Kurz darauf kam ein Passagier herein. Es war Mervyn Lovesey, der Mann, der in Foynes zugestiegen war, ein großgewachsener, etwa vierzig Jahre alter Engländer, der einen sehr soliden Eindruck machte. In seinem gestreiften Nachthemd wirkte er allerdings ziemlich komisch. Lovesey betrachtete den Schaden und sagte: »Na, was ist denn hier passiert?«
    Eddie schluckte. »Die Scheibe ist zerbrochen.«
    Lovesey sah ihn belustigt an. »Das habe ich mir fast gedacht.« »Das kann im Sturm schon mal vorkommen«, meinte Eddie. »Ein solcher Wind bringt manchmal Eisklumpen oder sogar Steine mit sich.«
    Lovesey war skeptisch. »So was! Seit zehn Jahren fliege ich meine eigene Maschine – aber davon habe ich noch nichts gehört.«
    Er hatte natürlich recht. Es kam zwar durchaus vor, daß unterwegs eine Fensterscheibe zu Bruch ging, doch geschah dies normalerweise, wenn die Maschine im Hafen lag, und nicht mitten über dem Atlantik. Für solche Fälle führten sie Abdeckklappen aus Aluminium – sogenannte Fensterblenden – mit sich, die zufälligerweise auch noch genau hier, auf der Herrentoilette, verstaut waren. Eddie öffnete den Schrank und zog eine heraus. »Deswegen haben wir diese Dinger hier dabei«, sagte er. Lovesey war endlich überzeugt. »Unglaublich«, murmelte er und verschwand in der Kabine.
    Im gleichen Schrank wie die Fensterblende befand sich auch ein Schraubenzieher, das einzige Werkzeug, das für die Montage vonnöten war. Wenn ich die Sache selbst erledige, hält sich die allgemeine Aufregung in Grenzen, dachte Eddie. Er brauchte nur ein paar Sekunden, um den Fensterrahmen abzunehmen, die Reste der zerborstenen Scheibe abzuschrauben, die Blende festzuziehen und den Rahmen

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