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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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es, wenn ich das nicht weiß?« fragte Margaret unter Tränen.
    Er setzte ihr unnachgiebig zu, und seine Züge waren zu einer Maske aus Verachtung und Wut erstarrt. »Was kannst du in einem Büro schon tun? Du kannst nicht einmal Tee kochen – du weißt ja nicht, wie das geht! Du hast in deinem ganzen Leben noch keinen Aktenschrank gesehen. Du hast noch nie und nirgendwo von neun Uhr früh bis fünf Uhr nachmittags an ein und demselben Fleck bleiben müssen. Du wirst dich langweilen und schleunigst wieder abhauen. Keine Woche lang wirst du durchhalten.«
    Es waren Margarets eigene heimliche Bedenken, die er zur Sprache brächte, und das regte sie nur noch mehr auf. In tiefster Seele hatte sie panische Angst davor, er könne recht behalten: Vielleicht kann ich wirklich nicht allein leben, vielleicht wird man mich schon bald wieder rauswerfen. Mit seiner gnadenlos höhnischen Stimme verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, daß sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten würden, und zerstörte damit ihre Träume wie die Meeresbrandung Sandburgen auf dem Strand. Margaret weinte unverhohlen, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht.
    Da hörte sie, wie Harry sagte: »Jetzt ist das Maß voll …«
    »Laß ihn nur«, meinte sie. Diesen Kampf konnte Harry nicht für sie ausfechten; das mußte sie allein tun.
    Ihr Vater geriet mehr und mehr in Rage. Mit hochrotem Gesicht, den Zeigefinger drohend erhoben, die Stimme immer lauter, redete er auf sie ein: »Boston ist nicht das Dorf Oxenford, weißt du. Dort helfen die Menschen einander nicht. Du wirst krank werden und von irgendwelchen kaltblütigen Ärzten vergiftet werden. Du wirst von jüdischen Vermietern ausgeraubt und von Straßennegern belästigt werden. Und was deinen Eintritt in die Armee betrifft …«
    »Tausende von jungen Mädchen sind bereits dem A.T.S. beigetreten«, erklärte Margaret, aber ihre Stimme war nur mehr ein leises Flüstern.
    »Aber keine Mädchen wie du«, höhnte er. »Starke Mädchen vielleicht. Solche, die daran gewöhnt sind, frühmorgens aufzustehen und Fußböden zu schrubben, aber keine verhätschelten Debütantinnen. Und der Herr möge verhindern, daß du einmal in Gefahr gerätst
    du würdest vor Angst fast sterben und stündest bibbernd da…«
    Sie erinnerte sich daran, wie hilflos sie nachts in London gewesen war – verängstigt, zu nichts nütze, kopflos –, und sie wurde dunkelrot vor Scham. Er hatte recht, sie hatte vor Angst geschlottert. Aber sie mußte nicht ihr Leben lang verängstigt und wehrlos bleiben. Er hatte alles darangesetzt, sie in seiner Abhängigkeit zu halten, aber sie war wild entschlossen, auf eigenen Füßen zu stehen, und hielt selbst während seiner übelsten Attacken an diesem Vorsatz fest.
    Er zeigte mit dem Finger auf sie, und seine Augen traten so weit aus den Höhlen, als wollten sie jeden Moment herausfallen. »Nicht mal eine Woche lang wirst du es in einem Büro aushalten, und im A.T.S. keinen einzigen Tag«, sagte er böse. »Dazu bist du einfach viel zu verzärtelt.« Er lehnte sich zufrieden zurück.
    Harry kam und setzte sich neben sie. Er nahm ein blütenweißes Taschentuch aus Leinen und tupfte ihr damit behutsam die Tränen von den Wangen.
    Vater sagte: »Und was Sie betrifft, mein junges Bürschchen …« Harry schnellte hoch wie der Blitz und ging auf Vater los. Margaret hielt den Atem an; sie rechnete schon mit einer Prügelei. »Unterstehen Sie sich, in diesem Ton mit mir zu reden«, sagte Harry. »Ich bin kein kleines Mädchen, sondern ein erwachsener Mann, und wenn Sie mich beleidigen, kriegen Sie einen auf Ihre fette Rübe.«
    Vater verfiel in Schweigen.
    Harry wandte ihm den Rücken zu und setzte sich wieder neben Margaret.
    Margaret war aufgewühlt, aber in ihrem Herzen spürte sie so etwas wie ein Triumphgefühl. Sie hatte es ihm gesagt. Vater hatte getobt und gehöhnt und sie zum Weinen gebracht, aber ihre Meinung hatte er nicht geändert: Sie würde gehen. In einem Punkt allerdings war er erfolgreich gewesen. Er hatte Zweifel in ihr gesät. Margaret hatte schon zuvor mit Sorgen daran gedacht, ihr könne im entscheidenden Moment der Mut zur Durchsetzung ihrer Pläne fehlen, die Angst sie in letzter Minute lähmen. Mit seinem Hohn und Spott hatte Vater diesen Zweifel genährt. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie Mut bewiesen: Konnte sie es jetzt? Doch, ich kann, dachte sie. Ich bin nicht zu verzärtelt, und ich werde es beweisen.
    Er hatte sie entmutigt, aber es war ihm

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