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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ihren Tonfall gemäßigt und sich durchgesetzt, indem sie die Leute manipulierte, statt sich mit ihnen anzulegen. Und nun war sie so blöd gewesen, all dies für einen Sekundenbruchteil zu vergessen, und hatte ausgerechnet mit dem attraktivsten Mann, der ihr seit zehn Jahren begegnet war, einen Streit vom Zaun gebrochen.
    Was bin ich doch für ein Idiot! dachte sie. Ich weiß doch, wie stolz er ist – eine der Eigenschaften, die ich an ihm mag, es ist ein Teil seiner Stärke. Ein harter Brocken mag er ja sein, aber im Gegensatz zu anderen Männern dieser Art unterdrückt er seine Gefühle nicht. Denk doch bloß mal dran, wie er seine ausgebüchste Frau um die halbe Welt verfolgt! Oder wie er sich für die Juden einsetzt, wenn sich Dummköpfe wie dieser Lord Oxenford aufblasen! Und hast du schon vergessen, wie es war, als er dich küßte…?
    Das seltsamste jedoch war, daß Nancy Lenehan plötzlich bereit war, über eine Veränderung ihres Lebens nachzudenken.
    Was Danny Riley ihr über ihren Vater erzählt hatte, warf ein neues Licht auf ihr ganzes bisheriges Leben. Seit jeher hatte sie angenommen, daß es zwischen ihr und Peter immer dann zu Streitigkeiten kam, wenn ihr Bruder es nicht mehr ertragen konnte, daß sie klüger war als er. Gewöhnlich allerdings legte sich die Rivalität zwischen Geschwistern im Laufe der Zeit: Ihre beiden Jungen, die sich fast zwanzig Jahre lang
    wie Hund und Katze gestritten hatten, waren mittlerweile die besten Freunde und gingen miteinander durch dick und dünn. Zwischen Peter und ihr hingegen hielt die Feindseligkeit an, obwohl sie langsam in die Jahre kamen – und nun wußte sie, daß Pa dafür verantwortlich war.
    Pa hatte ihr gesagt, sie würde seine Nachfolgerin und Peter müsse nach ihrer Pfeife tanzen; Peter hatte er das genaue Gegenteil gesagt. Sie hatten sich also beide in dem Glauben gewiegt, persönlich die Firma leiten zu müssen. Aber reichte das alles nicht sogar noch viel weiter zurück? Pa hatte sich – das wurde Nancy mit einemmal klar – von jeher stets geweigert, klare Regeln aufzustellen, Verantwortungsbereiche genau festzulegen. Er hatte ihnen Spielzeug gekauft, das sie sich teilen mußten, und sich dann geweigert, bei dem nun unvermeidlichen Gezänk den Schiedsrichter zu spielen. Und kaum waren sie alt genug gewesen, da hatte er ihnen ein gemeinsames Auto gekauft – um das sie sich prompt jahrelang gestritten hatten.
    Für Nancy hatte sich diese Strategie ausgezahlt: Sie war willensstark und clever. Peter hingegen hatte diese Strategie zu einem hinterhältigen, gehässigen Schwächling gemacht. Und nun sollte – nach Pa‘s Plänen – der Stärkere von ihnen die Firma übernehmen.
    Und genau das war es, was Nancy störte: Alles lief nach Pa‘s Plänen. Das Wissen, daß all ihr Tun und Lassen schon vor langer Zeit vorherbestimmt worden war, vergällte ihr den Sieg. In diesem Licht erschien ihr ihr gesamtes Leben plötzlich wie eine vom Vater gestellte Hausaufgabe. Na schön, sie hatte ihre Eins dafür bekommen – aber war sie mit Vierzig nicht ein wenig zu alt für Hausaufgaben? Verärgert stellte sie fest, daß sie sich ihre Ziele selbst stecken, daß sie ihr eigenes Leben führen sollte.
    In der Tat, sie war genau in der richtigen Stimmung für eine freimütige Unterhaltung über ihre gemeinsame Zukunft mit Mervyn gewesen. Aber er hatte sie mit seiner schlichten Annahme, sie müsse alles stehen- und liegenlassen und ihm um die halbe Welt folgen, zutiefst gekränkt. Und sie hatte ihn, anstatt zu versuchen, ihn umzustimmen, zusammengestaucht.
    Natürlich hatte sie nicht erwartet, er würde vor ihr auf die Knie sinken und ihr einen Heiratsantrag machen, aber…
    Doch, im Grunde ihres Herzens hatte sie das Gefühl, er hätte um ihre Hand anhalten sollen. Schließlich war sie nicht irgendwer, kein Freiwild. Sie war Amerikanerin, dazu aus gut katholischer Familie, und wenn ein Mann sie an sich binden wollte, dann kam nur eines in Frage, und das war ein Heiratsantrag. Wenn er den nicht zustande brachte, dann konnte er es gleich sein lassen.
    Sie seufzte. Ihre Empörung mochte ja durchaus berechtigt sein – aber fürs erste hatte sie Mervyn verjagt. Sie hoffte nun inbrünstig, der Zwist ließe sich wieder beilegen. Erst jetzt, da sie in Gefahr war, Mervyn zu verlieren, machte sie sich klar, wie sehr sie ihn begehrte.
    Ihre Gedanken wurden unterbrochen durch den Auftritt eines anderen Mannes, dem sie einst den Laufpaß gegeben hatte: Nat Ridgeway.
    Er blieb

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