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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und am Ende des Gartens stand ein kleineres fensterloses Gebäude, das Nancy für einen Bootsschuppen hielt. »Du könntest dir ein Boot zulegen«, sagte sie. Peter hatte schon immer gerne gesegelt.
    Die Seitentür zum Bootshaus stand offen, und Peter ging hinein. »Um Gottes willen!« hörte sie ihn ausrufen.
    Sie trat über die Schwelle und spähte angestrengt in die Dunkelheit. »Was ist denn?« fragte sie besorgt. »Peter, was ist mit dir?«
    Plötzlich stand Peter neben ihr und griff nach ihrem Arm. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie das hämische, triumphierende Grinsen auf seinem Gesicht und wußte, daß sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Da zerrte er sie auch schon brutal am Arm weiter in den Schuppen hinein. Nancy stolperte, schrie auf, ließ Schuhe und Handtasche fallen und stürzte auf den staubigen Boden.
    »Peter!« schrie sie wütend. Dann hörte sie, wie er sich mit drei schnellen Schritten entfernte. Die Tür knallte zu – und Nancy war von völliger Dunkelheit umgeben. »Peter?« rief sie, diesmal schon ängstlicher, und rappelte sich auf. Sie hörte ein schleifendes Geräusch, dann einen Ruck, als würde die Tür von außen verkeilt. »Peter!« schrie sie. »Sag doch was!«
    Keine Antwort.
    Hysterische Angst drohte sie zu überwältigen, und beinahe hätte sie einen entsetzten Schrei ausgestoßen. Nancy hielt sich den Mund zu und biß auf ihren Daumenknöchel. Allmählich ebbte ihre Panik ab.
    Blind und orientierungslos stand sie in der Dunkelheit. Mit einem Schlag erkannte sie, daß Peter das alles geplant hatte: Er hatte dieses leerstehende Haus mit dem praktischen Bootsschuppen absichtlich ausgesucht, hatte sie hergelockt und eingeschlossen – nur, damit sie das Flugzeug verpaßte und bei der Aufsichtsratssitzung nicht abstimmen konnte! Sein Bedauern, seine Entschuldigung, das Gerede über den Ausstieg aus dem Geschäft, seine qualvolle Ehrlichkeit – nichts als Lug und Trug! Gerissen, wie er war, hatte er gar an ihre gemeinsame Kindheit appelliert – und sie, Nancy, prompt damit in mildere Stimmung versetzt. Wieder einmal hatte sie ihm vertraut, und wieder einmal hatte er sie verraten. Es war zum Heulen.
    Sie biß sich auf die Unterlippe und überdachte ihre Lage. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie einen schwachen Lichtstreifen unter der Tür. Mit ausgestreckten Armen ging sie darauf zu, tastete die Wände zu beiden Seiten der Tür ab und fand einen Lichtschalter. Sie knipste ihn an, und das Bootshaus erstrahlte in hellem Licht. Sie griff nach der Türklinke und versuchte
    allerdings ohne viel Hoffnung – die Tür aufzustoßen. Natürlich gab sie nicht einen Zentimeter nach: Peter hatte sie fachmännisch festgeklemmt. Nancy warf sich mit der Schulter gegen die Tür, doch ohne Erfolg.
    Ellenbogen und Knie schmerzten noch von dem Sturz, bei dem sie sich überdies die Strümpfe zerrissen hatte. »Du Schwein!« flüsterte sie erbost dem abwesenden Peter zu.
    Sie zog die Schuhe an, nahm ihre Handtasche wieder an sich und sah sich um. Der Hauptteil des Schuppens wurde von einem großen Segelboot in Anspruch genommen, das auf einem Trailer lag. Der Mast steckte in einem Hängegerüst an der Decke, und die Segel waren fein säuberlich an Deck gefaltet. Vorne am Schuppen gab es ein breites Tor, das sich bei näherer Inspektion als fest verriegelt herausstellte – wie nicht anders zu erwarten gewesen war.
    Das Haus mochte zwar ein wenig abseits vom Strand liegen – aber war es nicht dennoch denkbar, daß irgendwer, vielleicht sogar einer der Clipper-Passagiere, vorüberkam? Nancy holte tief Luft und rief, so laut sie nur konnte: »HILFE! HILFE! HILFE!« Sie nahm sich vor, den Ruf im Abstand von jeweils einer Minute zu wiederholen, denn heiser schreien wollte sie sich nicht.
    Vorder- und Seitentür hatten sich als solide und gut eingepaßt erwiesen, aber vielleicht ließ sich ja eine Brechstange oder etwas ähnliches finden, womit man sie aufbrechen konnte. Nancy sah sich gründlich um. Aber der Besitzer schien ein ordnungsliebender Mensch zu sein, der keine Gartengeräte im Bootsschuppen aufbewahrte: von Schaufel oder Rechen keine Spur.
    Sie schrie ein weiteres Mal um Hilfe und kletterte dann auf das Bootsdeck, um dort nach passendem Werkzeug Ausschau zu halten. Sie fand mehrere Schränke, die der pedantische Besitzer jedoch fest verschlossen hatte. Nancy sah sich von ihrer erhöhten Position noch einmal suchend um, konnte aber nichts Neues entdecken.

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