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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Zeitungen über ihn gelesen.«
    »Na ja, er hält die Nazis für wundervoll und möchte nicht gegen sie kämpfen. Außerdem würde die Regierung ihn einsperren, wenn er bliebe.«
    »Also werden Sie in Amerika leben?«
    »Die Familie meiner Mutter kommt aus Connecticut.«
    »Und wie lange beabsichtigen Sie zu bleiben?«
    »Meine Eltern zumindest, solange der Krieg dauert. Vielleicht kehren sie nie wieder nach England zurück.«
    »Aber Sie möchten nicht nach Amerika?«
    »Natürlich nicht!« entgegnete sie heftig. »Ich möchte bleiben und kämpfen. Faschismus ist furchtbar, und dieser Krieg ist ungemein wichtig, ich möchte selbst auch zum Sieg über den Faschismus beitragen.« Sie fing an, über den Spanischen Bürgerkrieg zu erzählen, aber Harry hörte ihr nur mit einem Ohr zu. Ein so grandioser Gedanke war ihm gekommen, daß sein Herz hämmerte und er Mühe hatte, sich nichts anmerken zu lassen.
    Wenn man bei Kriegsausbruch aus einem Land flüchtet, nimmt man seine Wertsachen mit!
    Das war schon immer so. Bauern trieben ihr Vieh mit sich, wenn sie vor einer einfallenden Armee flüchteten. Juden flohen vor den Nazis mit Goldmünzen, im Mantelfutter eingenäht. Nach 1917 waren russische Aristokraten wie Prinzessin Lavinia mit ihren Faberge- Eiern in europäische Hauptstädte gekommen.
    Lord Oxenford mußte die Möglichkeit in Betracht gezogen haben, daß er nicht mehr zurückkehrte, und die britische Regierung hatte mit ihrer Devisenkontrolle dafür gesorgt, daß die britische Oberschicht nicht ihr ganzes Geld ins Ausland schaffen konnte. Die Oxenfords wußten, daß sie das, was sie zurückgelassen hatten, vielleicht nie wiedersehen würden, sie hatten also ganz sicher an Wertsachen mitgenommen, was sie nur tragen konnten.
    Natürlich war es ein wenig riskant, ein Vermögen an Schmuck im Reisegepäck mitzunehmen. Aber was wäre weniger riskant? Es mit der Post zu senden? Oder mit einem Kurier? Es zurückzulassen, wo es eine rachsüchtige Regierung beschlagnahmte? Wo es Invasoren als
    Kriegsbeute in die Hände fallen konnte? Oder Nachkriegsrevoluzzern?
    Nein. Die Oxenfords hatten ihren Schmuck bestimmt bei sich.
    Und ganz sicher das Delhi-Ensemble.
    Allein schon der Gedanke daran raubte ihm den Atem.
    Das Delhi-Ensemble war das Prunkstück von Lady Oxenfords berühmter Sammlung antiken Schmucks, das Set – Halskette, Ohrringe und Armband – war mit Rubinen und Brillanten in Gold gearbeitet. Es waren burmesische Rubine, die kostbarsten, von erstaunlicher Größe. General Robert Clive, als Clive von Indien bekannt, hatte sie im achtzehnten Jahrhundert nach England mitgebracht, und der Hofjuwelier hatte sie gefaßt.
    Das Delhi-Ensemble wurde auf eine Viertelmillion Pfund geschätzt – mehr Geld, als ein Mensch je ausgeben konnte!
    Und es war so gut wie sicher, daß es sich in diesem Flugzeug befand.
    Kein Profi würde an Bord eines Schiffes oder Flugzeugs stehlen, die Liste der Verdächtigen war zu klein. Außerdem gab Harry sich als Amerikaner aus, reiste unter falschem Namen mit gestohlenem Reisepaß, war nur auf Kaution frei und saß einem Polizisten gegenüber. Es wäre Wahnsinn zu versuchen, an den Schmuck heranzukommen, und schon der Gedanke an die damit verbundenen Gefahren ließ ihn zittern.
    Andererseits würde er nie wieder eine solche Chance bekommen. Und plötzlich brauchte er diese Juwelen wie ein Ertrinkender den Strohhalm.
    Natürlich würde er keine Viertelmillion für das Ensemble bekommen, wohl aber etwa ein Zehntel des Werts, also ungefähr fünfundzwanzigtausend Pfund, das war mehr als hunderttausend Dollar.
    Egal welche Währung, es würde reichen, daß er bis ans Ende seiner Tage davon leben konnte.
    Der Gedanke an soviel Geld machte ihm den Mund wäßrig – aber auch der Schmuck als solcher war unwiderstehlich. Harry hatte Abbildungen davon gesehen. Die der Größe nach abgestuften Steine der Halskette waren genau aufeinander abgestimmt; die Brillanten hoben die Rubine wie Tränen hervor; und die kleineren Stücke, die Ohrringe und das Armband, waren perfekt proportioniert. Das ganze Set um den Hals, an den Ohren und um das Handgelenk einer schönen Frau mußte hinreißend sein.
    Harry wußte, daß er einem solchen Meisterstück nie wieder so nahe sein würde. Nie mehr.
    Er mußte es einfach haben!
    Das Risiko war ungeheuerlich – aber er hatte schließlich immer Glück gehabt.
    »Ich glaube, Sie hören mir überhaupt nicht zu«, sagte Margaret.
    Harry nickte schuldbewußt. Er grinste und

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