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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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am Krieg teilnehmen, aber zweifellos würde vorsorglich eine Aufstockung stattfinden. Also würden die Erträge ohnehin wieder steigen. Das war zweifellos auch der Grund, weshalb Nat Ridgeway die Gesellschaft kaufen wollte.
    Sie grübelte über ihre Lage nach, während sie über die Irische See flogen, und arbeitete ihre Rede im Kopf aus. Sie probte zündende Sätze und Worte, sprach sie laut, denn sie war überzeugt, daß der Wind sie davontragen würde, ehe sie die behelmten Ohren Mervyn Loveseys einen Meter vor ihr erreichen könnten.
    So vertieft war sie in ihre Rede, daß sie es kaum bemerkte, als der Motor das erstemal stockte.
    »Der Krieg in Europa wird den Wert dieses Unternehmens innerhalb von zwölf Monaten verdoppeln«, sagte sie. »Wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten, wird er sich erneut verdoppeln …«
    Als es zum zweitenmal passierte, riß es sie aus ihren Überlegungen. Das kontinuierliche hohe Dröhnen veränderte sich kurz wie der Klang einer Wasserleitung, in die Luft eingedrungen ist. Es wurde wieder normal, veränderte sich erneut und entschied sich für einen anderen Ton, einen schwankenden, merklich schwächeren Ton, der Nancy erschreckte.
    Die Maschine verlor an Höhe.
    »Was ist los?« brüllte Nancy, so laut sie konnte, erhielt jedoch keine Antwort. Entweder konnte Lovesey sie nicht hören, oder er war zu beschäftigt, um zu antworten.
    Wieder änderte sich der Ton des Motors, er wurde höher, als hätte der Pilot Gas gegeben, und die Maschine flog wieder in gleichbleibender Höhe.
    Nancy war beunruhigt. Was ging vor? Handelte es sich um ein ernstes Problem oder nicht? Sie hätte gerne Loveseys Gesicht gesehen, aber er hielt es starr nach vorn gerichtet.
    Das Motorgeräusch blieb nicht mehr gleichmäßig. Manchmal erreichte es für kurze Zeit das vorherige tiefe Dröhnen, dann schwankte es aufs neue und wurde unregelmäßig. Verängstigt spähte Nancy nach vorn, um festzustellen, ob sich an der Drehung des Propellers etwas änderte, aber es war nichts zu bemerken. Doch jedesmal, wenn der Motor stotterte, verlor die Maschine ein wenig an Höhe.
    Nancy hielt diese Anspannung nicht mehr aus. Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt, beugte sich nach vorn und tippte auf Loveseys Schulter. Er drehte den Kopf ein wenig, und sie brüllte ihm ins Ohr: »Was ist los?«
    »Weiß nicht!« brüllte er zurück.
    Sie hatte viel zuviel Angst, sich damit zufriedenzugeben. »Was stimmt nicht?«
    »Ein Zylinder macht Mucken, glaube ich.«
    »Und wie viele Zylinder hat der Motor?«
    »Vier.«
    Das Flugzeug sackte ruckhaft ein wenig durch. Hastig lehnte sich Nancy in ihren Sitz zurück und schnallte sich wieder an. Sie fuhr Auto und nahm an, daß ein Wagen auch weiterfahren konnte, wenn ein Zylinder aussetzte. Aber ihr Cadillac hatte immerhin zwölf. Konnte ein Flugzeug mit drei von vier Zylindern fliegen? Die Ungewißheit wurde quälend.
    Sie verloren jetzt zunehmend an Höhe. Nancy vermutete, daß die Maschine auch mit drei Zylindern weiterfliegen konnte, aber nicht sehr lange. Wie bald würden sie in die See stürzen? Sie spähte in die Ferne und entdeckte zu ihrer Erleichterung Land. Nun konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Erneut öffnete sie ihren Gurt und wandte sich mit lauter Stimme wieder an Lovesey: »Können wir das Land erreichen?«
    »Weiß nicht!« brüllte er zurück.
    »Was wissen Sie überhaupt?« schrie sie mit vor Furcht schriller Stimme. Sie zwang sich zur Ruhe. »Was schätzen Sie?«
    »Halten Sie den Mund! Ich muß mich konzentrieren!«
    Sie lehnte sich wieder zurück. Vielleicht sterbe ich jetzt, dachte sie. Sie kämpfte gegen ihre Panik an und zwang sich, ruhig zu bleiben. Wie gut, daß ich meine Jungs noch großziehen konnte, dachte sie. Es wird schwer für sie sein, vor allem, da sie bereits ihren Vater durch einen Autounfall verloren haben. Aber sie sind jetzt Männer, groß und stark, und an Geld wird es ihnen nie mangeln. Es wird ihnen gutgehen.
    Ich wollte, ich hätte noch einmal einen Liebhaber gehabt. Wie lange ist es eigentlich her? Zehn Jahre! Kein Wunder, daß ich mich daran gewöhne. Warum bin ich nicht gleich Nonne geworden? Ich hätte mit Nat Ridgeway schlafen sollen, er wäre sicher nett zu mir gewesen.
    Sie war ein paarmal mit einem neuen Verehrer ausgegangen, kurz bevor sie nach Europa reiste, einem ledigen Wirtschaftsprüfer ihres Alters, aber mit ihm hätte sie nicht ins Bett gehen wollen. Er war gütig, aber schwach, wie viele Männer, die sie

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